Kommentar Gesetzentwurf zu §219a: Der Druck wirkt

Die Koalition bewegt sich in zu kleinen Schritten. Wenn es Grund zum Feiern gibt, dann wegen der Frauen, die immer weiter für ihre Rechte kämpfen.

Frauen halten bei einer Kundgebung Plakate mit der Aufschrift «Frauen Vertrauen» und «Rücksicht auf Frauen statt auf die Union!"

Das hat sich die SPD offenbar endlich zu Herzen genommen Foto: dpa

Eins steht fest: Die SPD-Verhandlerinnen haben durchgesetzt, was sich zusammen mit der Union eben durchsetzen lässt. Ärzt*innen dürfen künftig selbst auf ihren Webseiten darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Listen, die auf öffentlichen Seiten abrufbar sind, sollen monatlich aktualisiert werden. Dort sollen ungewollt Schwangere dann auch erfahren, welche Methoden diese Ärztin oder jener Arzt anbietet.

Und: Die Bundesregierung will die Qualifizierung von Ärzt*innen im Bereich Schwangerschaftsabbrüche ausweiten, um dem immer geringer werdenden Angebot entgegenzuwirken. Von den Eckpunkten, in denen im Lebensschützer-Duktus noch die „seelischen Folgen“ eines Schwangerschaftsabbruchs erforscht werden sollte, ist das meilenweit entfernt.

Ganz abgestreift hat das Papier den Sound der Abtreibungsgegner allerdings nicht. Der Gesetzentwurf betont ausdrücklich den Terminus des „Schutzes des ungeborenen Lebens“. Die Vorschrift schütze dieses, heißt es in der Zielsetzung, Schwangerschaftsabbrüche dürften nicht „kommerzialisiert“ oder „verharmlost“ werden.

Ärzt*innen dürfen zwar darüber informieren, dass sie Abtreibungen vornehmen – wie sie das aber tun, darüber müssen sie weiter schweigen. Stattdessen dürfen sie verschwörerisch einen Link auf ihre Seite setzen, der dann zu einer anderen Seite führt, wo in einer Liste steht, ob sie nun operieren oder eine Pille verabreichen.

Es geht ums Prinzip

Mit einer Information, die auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung künftig erlaubt ist, wird sich eine durchführenden Ärztin also weiterhin strafbar machen. Inwiefern das irgendein Leben schützt, hat bis heute niemand erklären können. Vielmehr geht es ums Prinzip – und darum, Frauen zu zeigen, dass man ihnen nach wie vor eine vernünftige und zugleich selbstbestimmte Entscheidung einfach nicht zutraut.

In der Praxis wird sich als Problem erweisen, dass viele Ärzt*innen sich nicht auf solche Listen werden setzen lassen – aus Angst vor der Schikane durch Abtreibungsgegner*innen, vor Flugblättern und Platikföten im Briefkasten. Und aus Angst, dass Patient*innen empört wegbleiben. Das hätte auch eine Streichung des Paragrafen nicht geändert. Doch der vorliegende Gesetzentwurf bedient dieses gesellschaftliche Tabu eher, als dass er sich entschieden hinter die Ärzt*innen stellt.

Wenn auch der Gesetzentwurf selbst kein Grund zum Feiern ist, so ist dieser Tag es doch. Denn dass jetzt überhaupt ein Papier auf dem Tisch liegt, ist dem nicht nachlassenden Druck von Frauen und ihren Verbündeten im ganzen Land, in Parteien, Organisationen, Verbänden und auch auf der Straße zu verdanken. Zu lange hatten sich zu viele daran gewöhnt, dass es doch irgendwie funktioniert. Dass Frauen, die abtreiben, hierzulande immer noch eine Straftat begehen, war vielen gar nicht klar.

Das ist vorbei. Wir führen dieser Tage in Deutschland die erste grundsätzliche Debatte über Abtreibung seit Jahrzehnten. In einer Zeit des Rechtsrucks, in der hart erkämpfte Rechte und Freiheiten immer mehr zur Disposition stehen, ist es beruhigend zu wissen: Diese Stimmen werden nicht wieder verstummen.

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leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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