Kommentar Innere Sicherheit in Europa: Das Ablenkungsmanöver

Die europäischen Innenminister wollen neue Datenberge anhäufen. Dabei sollten sie besser bereits vorhandene Daten über Gefährder sinnvoll nutzen.

Demonstrantin gegen Vorratsdatenspeicherung mit Zeichnung eines Barcodes auf der Stirn

Demonstrantin, die sich dauergescannt fühlt Foto: dpa

Nach den islamistischen Terroranschlägen von Brüssel hat es zwei Tage gedauert, bis die Innenminister der EU-Staaten eine gemeinsame Linie gefunden haben. Einerseits appellieren sie an sich selbst, vorhandene Daten über Gefährder besser zu teilen. Das ist sinnvoll, damit (potenzielle) Terroristen, die in verschiedenen EU-Staaten aktiv sind, auch überall als Gefahr erkannt und beobachtet werden können. Andererseits fordern sie das Europäische Parlament auf, die Speicherung der Fluggastdaten aller Flüge in Europa nicht mehr länger zu blockieren. Das ist perfide und abzulehnen.

So gibt es schon keinen Bezug zu den Anschlägen in Brüssel. Die Täter haben zwar einen Flughafen angegriffen, doch dazu brauchten sie kein Flugticket. Es ist von Auto- und Taxifahrten der Täter die Rede, nicht von Flugreisen. Kein Innenminister hat bisher erklärt, warum die Vorratsdatenspeicherung aller Fluggastdaten (wer flog wann wohin und was aß er auf dem Flug?) eine sinnvolle Maßnahme gegen Anschläge wie die von Brüssel sein soll. Die Polizei war schon mit der Verarbeitung der Daten, die über die Täter vorhanden waren, überfordert. Noch mehr Daten (über alle und jeden) sind ganz sicher keine sinnvolle Lösung für die konkrete Gefahrenlage.

Es geht den Innenministern offenbar vor allem darum, den Widerstand gegen neue Vorratsdatenspeicherungen zu diskreditieren. Wenn das Europäische Parlament jetzt nachgibt, nur um von den Innenministern gelobt zu werden, hat es überhaupt nichts verstanden.

Gefährdete Quellenlage

Doch den Innenministern geht es nicht nur darum, Datenschützer ins Zwielicht zu stellen. Wenn die Minister jetzt die Vorratsdatenspeicherung für Fluggastdaten forcieren, ist dies auch ein Ablenkungsmanöver. Denn der viel wichtigere Datenaustausch über Gefährder scheitert bisher vor allem an den eigenen Behörden der Innenminister: an Polizei und Inlands-Geheimdiensten. Diese haben Angst, ihre Quellen (zum Beispiel V-Leute) zu gefährden und wollen deshalb die Daten mit möglichst niemand teilen.

In Deutschland hat es nach den Al-Qaida-Anschlägen von 2001 immerhin fünf Jahre gedauert bis eine gemeinsame Anti-Terror-Datei eingerichtet wurde. Gebremst hatte vor allem der Verfassungsschutz. Die Minister wissen, dass ihre Appelle zur Zusammenarbeit nur für die Galerie sind. Deshalb präsentieren sie den Datenschutz und das Europäische Parlament als Prügelknaben.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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