Kommentar Japan Atomausstieg: Das Wichtigste ist der Anfang

Die japanische Regierung will bis 2040 aus der Atomenergie aussteigen. Bis dahin kann viel passieren. Für die Atomindustrie ist das dennoch ein herber Schlag.

Die gute Nachricht: Japan steigt aus der Atomkraft aus, und zwar zu hundert Prozent. Beschlossen von der Regierung. Erzwungen durch den Druck einer stetig stärker werdenden Anti-Atomkraftbewegung und den herannahenden Wahlen.

Die schlechte Nachricht: Jeder unbeschädigte Reaktor kann seine volle Betriebsgenehmigung von 40 Jahren ausschöpfen, der letzte wird daher erst im Jahre 2040 abgeschaltet. Bis dahin kann viel passieren, siehe den fast gekippten Atomausstieg in Deutschland. Es gehen also erst einmal Reaktoren wieder ans Netz in Japan, derzeit stehen ja 48 von 50 Meilern still.

Trotzdem ist der Regierungsbeschluss ein weiterer heftiger Schlag für die Atomindustrie weltweit. Japan ist wichtiger als Deutschland für die Branche. Das Land ist der drittgrößte Stromverbraucher der Welt. Und einer der wichtigsten Standorte für Atomfirmen überhaupt. Dieses Land stand bis vor kurzem mit so überwältigender Mehrheit hinter seinen AKWs und Wiederaufbereitungsanlagen wie in Europa höchstens Frankreich. Denn vor Fukushima sollte die Atomkraft in Japan von 26 Prozent auf 45 Prozent Anteil an der Stromerzeugung steigen bis zum Jahr 2030. Damit wäre das Überleben der dortigen Atomindustrie gesichert gewesen.

Lukrativ, aber ohne Perspektive

Nun geht es laut dem Plan auf Null. Es wird also in Japan keine Neuanlage mehr zu verkaufen sein. Nur noch Abwicklung und Restbetrieb von 50 Reaktoren – auch ein lukratives Geschäft, aber eben keines mit Perspektive. Einige der ältesten Atomunternehmen der Welt müssen nun ihr Geschäft neu ausrichten.

Die öffentliche Meinung in Japan ist innerhalb von zwei Jahren völlig umgeschlagen und erzwang nun den Schwenk der politischen Parteien. Das geht auf das Konto der Anti-Akw-Aktivisten ebenso wie auf die empörenden Lügen der Atomindustrie. Die Propaganda- und Lobbyschlacht gegen das Abschalten, wie hier in Deutschland erlebt, funktionierte in Japan nicht mehr, weil die Glaubwürdigkeit der Energiekonzerne in Japan in Umfragen auf Null gefallen war. Zu Recht.

Nun wird es spannend für Japan und den Rest der Welt. Wie soll der zum Glück stagnierende Stromverbrauch im Lande künftig gedeckt werden? Die US-Regierung macht sich schon Sorgen, ob Japan nun dauerhaft den Weltmarkt für fossile Brennstoffe leerkaufen wird. Derzeit liegt der Anteil der erneuerbaren Energien in Japan bei zehn Prozent der Stromerzeugung. Der muss nun stark steigen, denn bis 2040 sind es nur noch gut 27 Jahre, eine Kraftwerksgeneration quasi. Aber Deutschland schafft das ja auch gerade.

Und neben dem Wirtschaftlichen steht noch das Militärische: Was macht Japan mit seinen ganzen Kernbrennstoffen? Mit seinem wiederaufgearbeitetem Plutonium? Mit seinen Atomwissenschaftlern, deren Knowhow für den Iran oder viele andere Länder der Welt von hohem Interesse wären? All die Probleme, die ein Ausstieg aus dem Atomstaat mit sich bringt. Aber das Wichtigste ist beim Ausstieg der Anfang. Und der ist zumindest verkündet.

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Reiner Metzger, geboren 1964, leitet taz am Wochenende zusammen mit Felix Zimmermann. In den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sachkunde werden die Themen der vergangenen Woche analysiert und die Themen der kommenden Woche für die Leser idealerweise so vorbereitet, dass sie schon mal wissen, was an Wichtigem auf sie zukommt. Oder einfach Liebens-, Hassens- und Bedenkenswertes gedruckt. Von 2004 bis 2014 war er in der taz-Chefredaktion.

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