Kommentar Militanz in Hamburg: Du eitle Hanse

Rote Flora und Elbphilharmonie sind zwei gegensätzliche Symbole ein und derselben Stadt. Das spiegelt sich auch in der Militanzdebatte wider.

„Wo am Hafen / die Speicher und die Fische schlafen“. Bild: photocase / bohnopix

„Hamburg / Jesus liebt dich / Wo am Hafen / die Schiffe und die Fische schlafen / Skianzüge / am Hans-Albers-Platz / Frühstückstyrannen / und auch Sorgenbrecher / Du altes Hamburg / unsere Schatzstadt / wo am Hafen / die Schiffe und die Fische schlafen.

Du eitle Hanse / Alle wollen dich / und du weißt das / und du genießt das / und dir gefällt das / und du brauchst das / Du sexy Hamburg.“

Es gab eine Zeit, in welcher nach der alten Geografie der Bundesrepublik die schöne und altehrwürdige Stadt Hamburg eine herausragende Stellung innehatte. Künstlerisch, subkulturell und ökonomisch sowieso. Das Hamburg-Lied der Lassie Singers sprach 1992 davon: „Du eitle Hanse / Alle wollen dich“.

Nun, heute, 20 Jahre und 20 Konflikte später, sieht das schon anders aus. Nach dem Mauerfall hat „sexy Hamburg“ im Laufe der Jahre viel von seiner überregionalen Ausstrahlungskraft verloren. Die Wirtschaft brummt zwar weiterhin, aber viele der früheren Protagonisten der (sub-)kulturelle Szenen sind längst nach „sexy Berlin“ umgezogen. Dort gibt es günstigere Mieten, weniger Kiezismus, mehr Freiheit und Anonymität.

„Ihr seid die genialen Dilettanten / Wir eure wohlhabenden Verwandten“

Zurück ist aus subkultureller Perspektive ein kleines gallisches Dorf geblieben – der widerständige Stadtteil St. Pauli – in den nun im spätrömischen Stil Heerscharen von Investoren und Gentrifizierern einzudringen versuchen und die es in der Logik unserer sympathischen St.-Pauli-Gallier unbedingt zurückzuschlagen gilt. Die gelangweilten, aber vermögenden Römer suchen sich am romantisch-bohemienhaften Lebensstil der entschleunigten Gallier zu laben, diesen für ihre Lebens- und Konsuminteressen zu verwerten.

Dieses Verhältnis hat die Hamburger Band Die Goldenen Zitronen in ihrem aktuellen Song „Der Investor“ musikalisch und spielerisch sehr genau umrissen. Wissend darum, dass es auch eines ist, zu dem man selber gehört, singt Leadsänger Schorsch Kamerun auf dem Album „Who’s Bad?“: „Hey, hey hello / Hier spricht der Investor … Ihr seid die genialen Dilettanten / Wir eure wohlhabenden Verwandten“. Es gibt kein Eigenes ohne das Andere, Rote Flora und Elbphilharmonie sind zwei gegensätzliche Symbole ein und derselben Stadt, ohne die Hamburg eben als Stadt nicht existieren würde.

Ohne Römer keine Gallier und umgekehrt. Auf beiden Seiten gibt es jedoch Kräfte, die dies nicht verstehen wollen. So besteht auf der Seite des SPD-geführten Senats offenbar der feste Wille, St. Pauli und die Rote Flora in einer finalen Eskalation den Römern zum Fraß vorzuwerfen. Innensenator Michael Neumann ließ Prätorianergarden aufmarschieren und ganze Stadtbezirke zu Polizeisonderzonen erklären.

Sturheit und Stumpfheit

Nur weiß man bis heute nicht, welche Gruppierungen auf Demonstrantenseite für die Ausschreitungen infolge des 21. 12. tatsächlich verantwortlich sind, und auch nicht, ob die Einsatzleitung der Polizei die Eskalation ebenfalls gezielt gesucht hat.

Die Sturheit der einen ruft die Stumpfheit der anderen auf den Plan, könnte man nun einfach sagen und sich zurücklehnen: hier die rabiaten linken Kiezisten, dort die fanatischen Polizeistaatshardliner. Doch so einfach sollten es sich auch unsere lieben Gallier nicht machen.

Sie haben die martialische Stimmung selbst mit geschürt, von der sich Radikalinskis aller möglicher Spektren angezogen fühlen. „Im Ergebnis erscheinen massive Proteste und eine Eskalation als einzige Perspektive gegen eine Politik, die ihre politischen Zielsetzungen als kapitalistische Sachzwänge durchzusetzen versucht“, hieß es im zentralen Demonstrationsaufruf für den 21. 12. Der Text verband das konkrete „Right to the City“ mit der Totalität beanspruchenden Formel vom „Fight Capitalism!“

Im Gefolge dann eben auch die Angriffe auf Polizisten und die Davidwache sowie ein Pamphlet, das über eine autonome Medienplattform dazu aufruft, sich zu bewaffnen: „200 Leute, 400 Mollis und dazu 50 GenossInnen mit Zwillen, jeweils 15 Schuss Stahlkugeln – und die Bullen werden das Viertel verlassen. Irgendwann werden wir schießen müssen.“ Da braucht es schon einen kräftigen Schluck Zaubertrank, um die Betonköpfe auf beiden Seiten aufbröseln zu lassen oder sie beherzt zur Seite zu schieben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Leitet seit 2007 das Kulturressort der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.