Kommentar Mursi-Prozess: Selektive Rechenschaft

Während Hosni Mubarak freigesprochen werden könnte, darf Mohammed Mursi nicht auf Milde hoffen. Für Ägypten ist das keine Lösung.

Mursi bei einem seiner letzten öffentlichen Auftritte im Mai. Bild: dpa

Jetzt ist der einst gewählte und vom Militär verschleppte Präsident Mohammed Mursi nach vier Monaten Gefangenschaft endlich wieder aufgetaucht: auf der Anklagebank eines ägyptischen Strafgerichts. Egal wie fair die Richter mit diesem Fall umgehen werden, die Umstände sind hochpolitisch

Das machten schon die ersten Worte Mursis deutlich, der sich den Richtern als rechtmäßiger Präsident des Landes vorstellte, der durch einen Putsch aus dem Amt entfernt wurde. Symbolisch ist auch der Streitpunkt, ob Mursi eine Gefängnisuniform oder zivile Kleidung tragen darf.

Aber hier steht nicht nur Mursi, sondern ganz Ägypten vor Gericht. Mit Mursi wird zeitgleich auch dessen Vorgänger Mubarak der Prozess gemacht. Tatsächlich ist es möglich, dass Mubarak freigesprochen wird, während Mursi ins Gefängnis wandert. Das liegt auch daran, dass die staatlichen Institutionen den Fall Mubarak stets sabotierten, aber im Falle Mursis sicherlich freudig mit dem Gericht zusammenarbeiten werden. Ein Hinweis darauf, wie sehr der Sicherheitsapparat noch im Sinn des alten Systems operiert.

Zur Beruhigung des Landes wird diese selektive Rechenschaft sicher nicht dienen. Der Prozess ist keine Lösung, sondern eine Reflexion der politischen Krise und der instabilen Lage. Die Muslimbrüder und die Koalition der Putschgegner sind nicht stark genug, das Ruder in Ägypten herumzureißen, aber sie sind stark genug, mit Protesten das Land lahmzulegen.

Und das bringt uns zum größten Problem der Militärführung. Denn die weiß, dass die Zeit gegen sie spielt. Noch jubelt ein Teil der Bevölkerung dem Militärchef al-Sisi zu. Was ihm passieren kann, wenn er es nicht schafft, die Probleme auch nur ansatzweise zu lösen, kann er im Gerichtsverfahren studieren. Wenn es denn mal ordentlich stattfindet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.