Kommentar NSU-Prozess: Schämt sich noch jemand?

Ja, das Urteil gegen Zschäpe fiel hart aus. Vieles andere nicht. Und manches ist gar zynisch. Deutschland agiert weit unter dem, was es kann.

Demonstrierende mit Transparenten "Der NSU war nicht zu dritt"

Das Innenministerium schweigt zu der Frage, wie es für restlose Aufklärung des NSU-Sumpfs sorgen wird Foto: dpa

Der 11. Juli war ein Tag, an dem die Augen der Welt auf Deutschland gerichtet waren. Da standen sie, die Kinder und Hinterbliebenen der Opfer des NSU, und warteten auf das Urteil. Das Ende eines Jahrhundertprozesses, bei dem die dunkelste Seite des Landes vor Gericht stand: der tödliche, organisierte, nicht auszumerzende Hass auf das vermeintlich Fremde. Wie war das wohl für die Kinder der Opfer? Wie ist es, sich fragen zu müssen, ob Recht herrscht, wo es keine Gerechtigkeit mehr geben kann, weil die Menschen, die sie lieben, kein Urteil dieser Welt zurückholen wird?


Diese Familien hätten noch vor dem Urteil die Solidarität der Gesellschaft spüren müssen, die ihnen verwehrt blieb, als man noch von „Döner-Morden“ sprach: Die Menschen in diesem Land sehen euch! Sie stehen zu euch, ganz gleich, wie das Urteil ausfällt. Stattdessen ging es in weiten Teilen um Seehofers Albträume von der Asylwende: Masterplan! Abschottung! Menschenverachtung! Seenotrettung als Straftat, Umkehrung von Täter und Opfer. Das Zeitalter des Menschen ist das nicht.

Das deutsche Innenministerium musste am selben Tag eine Meldung bestätigen: Jamal Nasser Mahmoudi hat sich das Leben genommen. Einer von den 69 Abgeschobenen, über die sich der deutsche Innenminister an seinem 69. Geburtstag öffentlich gefreut hat. Darüber, wie es für restlose Aufklärung des NSU-Sumpfs sorgen wird, damit sich alle Menschen in diesem Land sicher und beheimatet fühlen können, war vom Innenministerium an diesem Tag hingegen nichts zu hören.


Ja, das Urteil gegen Zschäpe fiel hart aus. Manch anderes nicht. Guido Westerwelle forderte nach dem Bekanntwerden des NSU, entschieden gegen Rechtsextremismus vorzugehen, „damit Deutschlands Ansehen nicht beschädigt würde“. Das klang schäbig damals, als wäre Haltung eine Imagekampagne. Von heute aus betrachtet war das eine Meisterleistung. Am 11. Juli 2018 wird diskutiert, ob Leben retten auf See eine Straftat sein könnte. Schämt sich noch jemand, wenn Deutschland so weit unter dem agiert, was es kann?

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