Kommentar Neonazi-Datei: Erst denken, dann speichern

Die Neonazi-Datei ist eingerichtet, um ein Totalversagen der Behörden wie im Fall der NSU zu verhindern. Das hätte sie gerade in diesem Fall aber nicht.

Nie wieder ein Totalversagen wie im Fall NSU: Sehr viel versprechen sich die Sicherheitsbehörden von der Verbunddatei: Erkenntnisüberblick, gar Ermittlungserfolge. Seit Mittwoch haben 36 Behörden aus Bund und Ländern ihre Informationen über gewalttätige Rechtsextreme in einer Datenbank vereint.

Hätte es eine solche Datenbank schon zu der Zeit des NSU-Trios gegeben, wären die Mitglieder dort aufgetaucht, meint Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Hätte sie aber wirklich die Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle verhindert? Nein, denn in einem waren sich die Ermittler ganz sicher: Aus rassistischen oder rechtextremen Motiven wurden die Taten nicht verübt. Hätte es so eine Datei geben, hätten sie dort also gar nicht nachgeschaut.

Bis zur Zufallsentdeckung schlossen Verfassungsschutz und Sicherheitsbehörden einen „Rechtsterrorismus“ kategorisch aus. Und was nicht gedacht wird, wird eben auch nicht gesehen.

Andreas Speit ist Autor der taz.

An dieser Ignoranz in den Sicherheitsbehörden gegenüber der rechten Gewalt hat sich wenig geändert. In Niedersachsen beklagte jüngst die Landtagsfraktion der Grünen, dass die Polizei rechtsextreme Angriffe als Streit unter Jugendlichen abtat. In Sachsen beschwerte sich die Landtagsfraktion der Linken, dass die Behörden rassistische Übergriffe als unpolitisch einstuften.

Opferberatungsstellen müssen bundesweit immer noch Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte drängen, bitte mal den politischen Hintergrund wahrzunehmen. Oft sind sie es, die darauf hinweisen, dass ein Obdachloser oder ein Punk aus rechter Menschenverachtung fast totgeschlagen wurde. Ein politischer Wahrnehmungswandel ist endlich geboten. Und eine Datenbank ersetzt keine politische Sensibilität.

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Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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