Kommentar Obama und Homo-Ehe: Kämpfen um die Jugend

Obamas Bekenntnis zur Homo-Ehe ist für US-amerikanische Verhältnisse radikal. Damit zeigt er, dass er noch da ist und weiß, was er zu tun hat.

Eine größere Bühne hätte Barack Obama nicht wählen können. Zur besten Sendezeit erklärt der Präsident im überregionalen Fernsehen, dass er sich für die Gleichstellung der Homo-Ehe einsetzt, eine Gleichstellung, die übrigens über das bestehende deutsche Recht hinausgehen würde.

Es gibt kaum ein anderes Thema, mit dem der begnadete US-Wahlkämpfer zeigt, auf wessen Hilfe er setzt, um zum zweiten Mal ins Weiße Haus gewählt zu werden: auf die Jugend, die kulturell und politisch progressiven Wählerinnen und Wähler.

Für viele Deutsche mag es schwer vorstellbar sein, was ein solches Bekenntnis in den Vereinigten Staaten bedeutet - und wie radikal es letztlich ist. Auch wenn die Homo-Ehe in Deutschland noch immer keine hundertprozentige Gleichberechtigung von hetero- und homosexuellen Paaren garantiert (vor allem, sobald das Thema Kinder ins Spiel kommt), hat das Ende 2000 mit rot-grüner Mehrheit im Bundestag beschlossene Gesetz einen großen Liberalisierungsschub angestoßen. Es ist, SPD und Grüne sei Dank, in Deutschland nicht vorstellbar, dass ein Politiker versuchen würde, sich erfolgreich mit offen homophober Wahlkampfrhetorik zu profilieren.

Das ist in den USA immer noch ganz anders. Vor allem im Landesinneren, in den so genannten Biblebelts, ist die brutale Repression, der Schwule, Lesben und deren Unterstützer ausgesetzt sind, ungebrochen menschenverachtend. Kirchengemeinden betreiben konzertierte Teufelsaustreibungen, homosexuelle Jugendliche sollen mit sozialer Folter auf den rechten Weg zurückgeführt werden. Viele werden so in die Psychiatrie oder den Tod getrieben.

Nun darf man Barack Obama zurecht unterstellen, dass es nicht seine Überzeugung allein ist, die ihn angetrieben hat, sich für die Gleichstellung der Homo-Ehe einzusetzen. Es ist Wahlkampf und ein Sechstel seiner Großspender sind homosexuell. Seit Jahren warten sie bereits darauf, dass Obama ein Versprechen in die Tat umsetzt, dass schon bei der Wahlkampagne auf seiner Agenda stand.

Obama weiß, was er zu tun hat

Wenn der Präsident vor laufender Kamera davon spricht, er habe ausführlich mit seiner Frau und seinen Kindern darüber gesprochen, warum es für ihn wichtig ist, beim Thema Homo-Ehe „voranzugehen und zu betonen, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten können sollten“, dann sind auch diese Worte mit Bedacht gewählt: Der überwiegende Teil jener, die die Homo-Ehe unterstützen, sind junge Wählerinnen und Wähler. Obama weiß, dass er sechs Monate vor der Wahl noch einiges dafür tun muss, um sie noch einmal hinter sich zu versammeln – jene Wählergruppe also, der er seinen ersten Erfolg vor allem zu verdanken hat.

In seiner bisherigen Amtszeit hat Obama viele Hoffnungen enttäuscht, viele Unterstützerinnen und Unterstützer haben sich frustriert abgewendet. Mit seinem Einsatz für die Homo-Ehe zeigt er nun: Ich bin da und setze mich ein für die kulturelle und politische Jugend dieses Landes. Dass Schwarze aufgrund ihrer religiösen Prägung insgesamt eher gegen Homo-Rechte sind, muss Obama nicht allzu sehr fürchten: Er kann darauf bauen, dass viele die Entscheidung trotzdem mittragen – damit der erste schwarze Präsident weiter im Weißen Haus bleiben kann.

Obamas Herausforderer wird nun sicherlich versuchen, sein konservatives Profil zu schärfen, indem er noch deutlicher gegen eine Gleichberechtigung von Homos und Heteros Front macht. Ohne Risiko ist das aber auch für Mitt Romney keineswegs. Denn nicht nur die Tochter von Dick Cheney lebt offen lesbisch. Es gibt auch zunehmend Stimmen im konservativen Lager, die verstanden haben, dass der Freiheitsgedanke eines modernen, zukunftsfähigen Amerika nicht in den verstaubten Kirchenbüchern der Gründungsväter vermodern darf.

Obama hat am Dienstagabend einen Faden aufgenommen, den sich Bill Clinton vor 16 Jahren von seinen Beratern noch hat aus der Hand nehmen lassen. Sie hatten damals, vielleicht zu Recht, befürchtet, dass die Zeit für einen offenen Einsatz des Präsidenten für die Homo-Ehe noch nicht reif war.

Und selbst wenn die Gründe Obamas nun in erster Linie wahlstrategische sein sollten – es ändert nichts an der Tatsache, dass der Präsident der USA Millionen von Amerikanerinnen und Amerikaner damit lange verwehrten Respekt zollte und sich klar zu einer nicht nur im Wahlkampf wichtigen Überzeugung bekannte: dass jeder so leben und lieben darf, wie er oder sie möchte.

Ohne Zweifel: Ein historischer Tag. Obama hat mit seinem Bekenntnis zur Homo-Ehe abermals Geschichte geschrieben.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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