Kommentar Parlamentsrechte: Am Herz der Demokratie

Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit Informationsrechten von Abgeordneten. „Geheim“-Stempel müssen die Ausnahme bleiben.

Die Kuppel des Bundestags im Dämmerlicht

Oben gläsern, unten geheim? So geht es nicht, sagt das Bundesverfassungsgericht Foto: Reuters

Das Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten muss auch für privatisierte Unternehmen gelten. Es darf nicht durch übertriebene Geheimhaltung entwertet werden. Durch eine Klage der Grünen zur Auskunftspflicht hat das Bundesverfassungsgericht jetzt die Chance, die Demokratie zu stärken.

Eines der wichtigsten Oppositionsrechte ist das Frage- und Informationsrecht. Damit kann die parlamentarische Minderheit Missstände thematisieren und aufdecken. Sie kann auch Informationen als Grundlage für eigene Initiativen einfordern. Die Regierung muss wahrheitsgemäß und vollständig antworten. Aber natürlich versucht sie häufig, sich zu drücken und beruft sich dabei auf Grenzen des Fragerechts.

Diese Grenzen muss nun das Bundesverfassungsgericht bestimmen. Andreas Voßkuhle, der Präsident des Gerichts, hat nicht übertrieben, als er von einer „Operation nahe am Herzen der Demokratie“ sprach.

Das erste Problem betrifft die Deutsche Bahn AG, ein privatisiertes Unternehmen, das aber zu 100 Prozent dem Bund gehört. Ein Ziel der Privatisierung in den 1990er-Jahren war, der Bahn das starre Behördendenken auszutreiben. Die Bahn sollte ein dynamisches Unternehmen werden, das Gewinne anstrebt und eines Tages an die Börse geht. Sie sollte sich im Wettbewerb mit anderen Bahnunternehmen messen, die Politik sollte ins tägliche Geschäft nicht hineinreden.

Legitime Kontrolle der Opposition

Solange aber alle Aktien beim Bund liegen, wird auch die Bundesregierung für Erfolge und Missstände verantwortlich gemacht. Das ist auch nicht verkehrt. Schließlich ist die Bahn nicht irgendein Unternehmen, sondern ein wichtiger Teil der deutschen Infrastruktur. Zumindest beim Schienennetz ist kein Wettbewerb möglich. Solange also die Bahn unter politischem Einfluss steht, ist es nur legitim, dass die Opposition kontrollieren kann – obwohl die Bahn formal ein Privatunternehmen ist.

Das zweite Problem betrifft die staatliche Aufsicht über private Unternehmen, etwa über die Banken. Hier hat das Parlament zwar grundsätzlich Informationsrechte. Umstritten ist jedoch, in welcher Form die Regierung antworten muss – ob öffentlich oder nur zur Kenntnis der Abgeordneten.

Ob die Bankenaufsicht in Deutschland gut funktioniert, ist eine Frage von öffentlichem Interesse.

Antworten mit „Geheim“-Stempel müssen aber die seltene Ausnahme bleiben. Die Demokratie ist auf Öffentlichkeit angelegt. Die Bürger sollen sehen, wie Regierung und Opposition arbeiten, und darauf ihre Entscheidung bei der Wahl der Abgeordneten stützen.

Ob die Bankenaufsicht in Deutschland gut funktioniert, ist eine Frage von öffentlichem Interesse. Die Grünen wollen zu Recht über die Leistung der Bafin vor und während der Bankenkrise diskutieren. Es kann nicht sein, dass die Geschäftsgeheimnisse von Banken – die gerade mit Milliarden Euro vom Steuerzahler gerettet wurden! – öffentliche Antworten der Regierung verhindern.

Vorbild USA

Deutschland hat bisher eine Bankenaufsicht, die vor allem auf ein (schutzbedürftiges) Vertrauensverhältnis zwischen Aufsicht und Banken setzt. Von den Maßnahmen der Aufsicht sollen die Finanzmärkte möglichst wenig mitbekommen, weil sie möglicherweise alles falsch verstehen würden. Doch dieser deutsche Weg ist nicht alternativlos, wie in der Karlsruher Verhandlung deutlich wurde.

In den USA etwa macht die Bankenaufsicht ihre Maßnahmen selbst öffentlich. Dort geht man davon aus, dass die Öffentlichkeit mehr Vertrauen in das Finanzsystem entwickeln kann, wenn die Aufsicht sichtbar zupackt. Zwar hat auch dies den großen Crash ab 2008 nicht verhindert, aber heute stehen die Banken in den USA wohl stabiler da als die verhätschelten deutschen Kreditinstitute.

Damit ist klar: Wenn der deutsche Weg einer im Verborgenen wirkenden Aufsicht nicht zwingend ist, sondern nur eine Art Kulturfrage, darf er nicht Verfassungsrechte der Opposition aushebeln. Nach dem ersten von zwei Verhandlungstagen besteht gute Hoffnung, dass die Mehrheit der Verfassungsrichter das auch so sieht.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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