Kommentar Parteiischer Journalismus: Ruhig auch mit Trööt

Ein Journalist dürfe sich nicht mit einer Sache gemein machen, heißt es. Stimmt, er darf nicht – er muss es sogar.

Portrait Deniz Yücel

Viele Journalisten solidarisieren sich mit Deniz Yücel Foto: imago/Müller-Stauffenberg

Dem früheren „Tages­themen-Moderator Hanns Joachim Friedrichs wird das Bonmot zugeschrieben, ein Journalist dürfe sich nicht mit einer Sache gemeinmachen, auch nicht mit einer guten. Dass Friedrichs den Satz so eigentlich nicht gesagt hat, ist eine andere Geschichte. Eine ganze Journalistengeneration wurde trotzdem damit imprägniert.

Es ist natürlich auch viel dran an dem Satz. Es ist sinnvoll, die Ebenen getrennt zu halten. Akteure handeln. Aktivisten kämpfen. Journalisten sind für die Wahrheitsfindung zuständig, und die Suche gestaltet sich schwieriger, wenn man selbst mitten im Gewusel steckt und auch noch eigene Interessen dabei hat. Es ist, konkret gesagt, problematisch, wenn jemand darüber entscheidet, ob eine neue Greenpeace-Studie methodisch einwandfrei und berichtenswert ist, der bei der nächsten Aktion das Schlauchboot steuert.

Die Sache ist nur: Als vergangene Woche zahlreiche Journalistinnen und Journalisten darüber diskutierten, ob man sich in diesem Beruf mit einer bestimmten Sache gemeinmachen dürfe, war die Antwort vieler: dürfen? Nein. Man muss.

Es ging um den Fall des Türkei-Korrespondenten der Welt und ehemaligen taz-Redakteurs Deniz Yücel, der in Istanbul der Ausübung seiner Arbeit wegen in Polizeigewahrsam genommen worden war. Es geht ihm wie vielen türkischen Journalistinnen und Journalisten, aber Yücel, der zwei Pässe hat, ist der erste Korrespondent eines deutschen Mediums, dem es so ergeht.

Ein Türke in der Türkei?

Es setzte daraufhin eine Welle der Solidaritätsbekundungen für ihn ein. Yücel wurden Kolumnen gewidmet, es gab einen Autokorso. Die Welt, sein Arbeitgeber, schrieb: „Wir sind Deniz“. Und die taz, an deren Erdgeschossfenstern #FreeDeniz-Poster hängen, tut auch gar nicht erst so, als sei sie neutral. Der eine Teil der Medienbranche machte sich also gemein mit ihm.

Die Diskussion entspann sich dann daran, dass in einigen Medien auch Artikel über Yücels Festsetzung erschienen waren, aus denen nicht klar hervorging, auf wessen Seite die Autoren stehen. Wenn sich selbst große Zeitungen „nicht zur Verteidigung der Pressefreiheit aufraffen, haben wir echt ein Problem“, schrieb danach ein deutscher Kolumnist bei Twitter. Andere äußerten sich ähnlich.

In einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wurde etwa angedeutet, worüber nun dringend zu sprechen sei, sei die Entsendungspolitik der Welt: Warum schicke sie ausgerechnet einen Türken in die Türkei, seine Staatsbürgerschaft erschwere ihm nun die Lage; außerdem sei er, verkürzt gesagt, seiner Herkunft wegen nicht unbefangen. Und an einem Text in der Süddeutschen Zeitung missfielen vielen die Zwischentöne. „Yücels Journalismus ist immer auch ein ganz großes: ‚Trööt!‘“, hieß es darin. Der türkische Journalismus sei mittlerweile so aufgeladen, dass er „offenbar nur noch Parteinahme für oder Gegnerschaft zu Erdoğan kennt“. ­Yücel habe sich dabei klar auf der Seite der Gegner positioniert; „der Übergang zum Aktivisten: fast schon fließend“.

Das Reinheitsgebot

Das Blog Prinzessinnenreporter las darin den Zuruf an ­Yücel: „Selbst schuld, Idiot!“ Man darf die Schärfe dieser doch etwas überzogenen Kritik vielleicht dem Eifer des Gefechts zuschreiben. Interessant ist aber in jedem Fall die Passage über die Aufgeladenheit des türkischen Journalismus. Denn darin steckt im Umkehrschluss auch eine Aussage über den deutschen: Hier geht das so nicht mit dem Akteurswesen, weil, Hanns Joachim Friedrichs! Deutscher Journalismus unterliegt dem Reinheitsgebot!

Der Anspruch dahinter ist erkennbar: cool bleiben, Distanz wahren, nicht Akteur sein. Auch deshalb der Hinweis, dass Yücels bisherige Türkei-Berichterstattung nicht auf klinische Art steril war. Die Frage ist nur: Welcher Journalist wäre eigentlich nicht Akteur, wenn es um die Pressefreiheit geht?

Özlem Topçu, Politikredakteurin der Zeit, schrieb dieser Tage eine Antwort auf die These, dass türkischen Türkei-Korrespondenten ihre Herkunft womöglich im Weg stehe; dass sie zu sehr Akteur seien. Die Zeiten, schrieb Topçu, da „der westdeutsche, weiße und männliche Journalist“ den Blick auf das Land und die Welt bestimmt habe, seien vorüber. Autoren mit rein deutschen Biografien hätten lange über eine Welt geschrieben, die sie nicht gut kannten und „die sie oft genug paternalistisch behandelten“. Nun aber gebe es auch die Stimmen „anderer“ in deutschen Redaktionen. Und das sei „nicht deshalb gut, weil Migranten richtiger oder besser berichteten, nur weil sie Migranten waren, sondern weil sie es anders taten. Mit anderer Kenntnis etwa der kulturellen Codes, anderer Temperatur, anderer Sprache.“

Anders gesagt: Kann schon sein, dass „enge emotionale oder gar familiäre Verbundenheit mit einem Land“ kein Vorteil sein muss, wenn man über ein Land berichte. Aber wo ist der Vorteil dabei, Müller zu heißen und immer nur Wuppertal gesehen zu haben?

Fragile Demokratie

Ohnehin ist die Unterscheidung zwischen Journalist und Aktivist ziemlich hinfällig, wenn die journalistische Wahrheitsfindung selbst der Gegenstand ist, um den gerungen wird. In der Türkei sitzen rund 150 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis, weil sie ihren Job machten. Wie wahrhaftig kann eine Berichterstattung sein, die damit umgeht wie mit ein bisschen verfehlter Stadtplanung? Die Abschaffung der Meinungsfreiheit ist keine Meinung wie jede andere. Es geht in der Türkei, und die ist so weit nicht weg, um die Zukunft der Demokratie, über deren Fragilität wir seit einiger Zeit staunen müssen.

Was der frühere „Tages­themen“-­Moderator Hanns Joachim Friedrichs übrigens tatsächlich gesagt hat, 1995, kurz vor seinem Tod in einem Spiegel-Interview, ist: Er habe als Nachrichtenmoderator gelernt, wie man Schreckensmeldungen so präsentiere, dass die Zuschauer einem vertrauen: „Distanz halten, sich nicht gemeinmachen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.“ Es ging nicht um sein generelles Berufsverständnis, sondern um das performative Verhalten des öffentlich-rechtlichen Anchormans. Gemein machte Friedrichs sich selber, etwa mit engagierten Naturfilmen, denen er selbst eine „grüne Botschaft“ zuschrieb, oder mit Spenden für Erdbebenopfer, über die er berichtete. Worum es ihm ging, war, wie man das Vertrauen von Zuschauern erlangt.

Was Deniz Yücel angeht, dessen Journalismus so laut sein kann, dass manche ihn als aufdringlich empfinden: Es dürfte Menschen geben, die die Lage in der Türkei verschärft wahrnehmen, seit er wegen einer kritischen Frage an einen Gouverneur 2015 schon einmal kurzzeitig von der Polizei festgehalten wurde. Denn Yücel hat sie in diesem Moment performativ und persönlich beglaubigt. Das war Journalismus mit Trööt, der sich mit sich selber gemeinmachte. Aber guter.

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