Kommentar Polizeiversagen bei G20: Die übliche Ablenk-Debatte

Nach den Krawallen bei G20 diskutieren alle über linken Extremismus. So soll die fehlerhafte Taktik der Polizei in Vergessenheit geraten.

Olaf Scholz steht vor zwei Polizisten

Sollten über ihre Fehler reden: Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und die Polizei Foto: dpa

Am Tag danach ist es wie fast immer, wenn in Deutschland schwere Straftaten geschehen: Politiker von Union und SPD überbieten sich mit Forderungen nach schärferen polizeilichen Maßnahmen. Nach den Hamburger G20-Krawallen soll jetzt eine europäische Extremistendatei her. Auch diesmal ist der Zweck der Forderung eindeutig: Über polizeiliche Fehleinschätzungen und falsche Taktiken soll nicht mehr gesprochen werden.

Dabei sind diese Fehler in Hamburg offensichtlich: Erstens hatte die Polizei am Freitagabend keine ständigen Einsatzkräfte in den Hauptstraßen des Schanzenviertels postiert, obwohl dies der traditionelle Ort für größere und kleinere Ausschreitungen an einem solchen Tag ist. Bürgermeister Olaf Scholz begründet das späte Einschreiten der Polizei damit, dass die Beamten von Dächern aus hätten beworfen werden können. Eine schlechte Ausrede: Die Frage bleibt, warum die Polizei nicht schon das Klettern auf Gerüste und Dächer durch ihre Präsenz verhindert hat.

Zweitens verweist Scholz darauf, dass die Sicherheitsbehörden nicht mit dem „Typus marodierender Straftäter“ gerechnet hätten, also jenen, die Autos anzündend durch Altona zogen. Dabei streiften in Genua 2001, dem letzten Gipfel, zu dem in ähnlicher Größenordnung mobilisiert wurde, Autoanzünder in Kleingruppen lange ungestört durch die Straßen. Ähnlich war es bei der jüngsten Demonstration gegen die EZB in Frankfurt.

Drittens hätte Hamburg längst nach Berlin schauen können. Die Krawalle auf den jährlichen 1.-Mai-Demonstrationen haben deutlich nachgelassen, seitdem die Polizei ihre Wasserwerfer in der Garage lässt und stattdessen auf Festnahmeeinheiten setzt, die Gewalttäter gezielt aus der Menge herausgreifen.

Hamburg fährt dagegen noch immer Wasserwerfer auf. Der G20-Gipfel war geradezu eine Parade der neuen, teuren „Wasserwerfer 10000“, die unter Beweis stellten, warum sie nicht das polizeiliche Mittel der ersten Wahl sein können: Wasserwerfer machen nass, aber Autonomen keine Angst. Sie zerstreuen Mengen kurzfristig, aber nicht nachhaltig.

Was also hätte Scholz eine europäische Extremistendatei genutzt, solange Hamburg nicht einmal bereit ist, von der Polizei in anderen Bundesländern zu lernen? In Deutschland bestimmt der Föderalismus die Einsatztaktiken. Das kann man mit dem Argument gutheißen, so lokale Einsatzerfahrungen schneller berücksichtigen zu können. Aber wenn es wie jetzt in Hamburg offensichtlich schiefgeht, sollte man dafür auch die Verantwortung übernehmen und eigene Fehler eingestehen.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

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