Kommentar Pressefreiheit: Erschütterte Republik

In Deutschland wird gerne über ihre Feinheiten debattiert. Erdogans Terror gegen die Pressefreiheit aber sprengt auch hier die gemütliche Routine.

Ein Mann hält die aktuelle Ausgabe der Cumhuriyet hoch

Noch wollen sie nicht schweigen: Ein „Coup gegen die Opposition“, titelt die Cumhuriyet nach den Verhaftungen Foto: dpa

Wir kommen in Deutschland gerne mal auf die Pressefreiheit zu sprechen. Auf Symposien und in Leitartikeln wird über sie nachgedacht. Ob sie nicht tangiert wird, wenn Behörden mauern. Ob sie gefährdet ist, wenn immer weniger Rechercheure immer mehr PR-Leuten gegenüberstehen. Ob sie nicht wackelt, die Pressefreiheit, wenn ein Teil des Publikums den Medien pauschal die Glaubwürdigkeit abspricht. Wichtige Fragen. Aber was Pressefreiheit wirklich bedeutet, davon haben wir am Ende keine Ahnung.

Was Pressefreiheit wirklich bedeutet, erleben jene, denen sie entrissen wird. So wie Akın Atalay, der Verlagschef von Cumhuriyet, in der Türkei die auflagenstärkste jener Zeitungen, die Recep Tayyip Erdoğan noch kritisieren. Atalay hat am Montagmorgen erfahren, dass sein Haus durchsucht wurde. Er ist auf Reisen im Ausland, seine Familie befindet sich dagegen in Istanbul. Der Cumhuriyet-Chefredakteur Murat Sabuncu: festgenommen. Dessen Vorgänger Can Dündar: Haftbefehl erlassen. Zwölf weitere Kollegen: in Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft Cumhuriyet vor, die PKK und die Gülen-Bewegung zu unterstützen. Anders gesagt:Erdoğanterrorisiert die Medien unter dem Vorwand, den Terror zu bekämpfen.

Auch gegen Akın Atalay, den Cumhuriyet-Verlagschef, wurde Haftbefehl erlassen. Was Pressefreiheit bedeutet – er weiß es. Deshalb zitieren wir, was er uns gesagt hat: „Die Anschuldigungen sind so absurd, dass wir nur sprachlos sind. Jeder weiß, dass es sich um Lügen handelt. Das einzige Ziel der Regierung ist, Cumhuriyet komplett zu schließen. Es geht darum, alle kritischen Stimmen in der Gesellschaft zum Schweigen zu bringen. Wir rufen die ganze Welt zur Solidarität mit Cumhuriyet und zum Widerstand gegen diese Ungerechtigkeit auf.“

Am Montagmorgen in der Redaktionskonferenz der taz ging es auch um andere wichtige Themen – um Rentenpolitik, um Biolandwirtschaft und deutsche Investitionen in China. Jeden Tag sortiert eine Zeitung nach ihrer eigenen Logik Themen und Ereignisse. Aber der Putsch gegen eine Zeitung, der wir uns verbunden fühlen, sprengt diese Logik. Man erahnt, was Pressefreiheit wirklich bedeutet. Das geht uns nahe. Und deshalb titeln wir in dieser Tageszeitungsausgabe mit einem Zeichen der Solidarität, deshalb berichten wir auf Seite 2 und 3.

Mitarbeiter der taz halten die Buchstaben „Cumhuriyet'i Kurtarin“ in die Höhe

Die taz zeigt sich mit „Cumhuriyet“ solidarisch Foto: screenshot taz

Zwar hat Erdoğan in der Türkei schon über 160 Medien lahmgelegt, mehr als 120 Journalisten sitzen in Haft. Hürriyet, die auflagenstärkste Zeitung, berichtet schon lange nicht mehr kritisch über die Regierung, sondern wurde zu deren Sprachrohr. Im Staatsfernsehen werden Karten einer Türkei in den Grenzen des späten Osmanischen Reichs präsentiert. Frei ist die Presse in der Türkei schon lange nicht mehr – so wie es eine Demokratie zum Leben bräuchte. Aber viele mutige JournalistInnen schreiben noch. Was sie sehen, was sie denken, was ist. Für sie ist die Cumhuriyet ein Wahrzeichen. Sie ist, 1924 gegründet, die älteste Zeitung des Landes. Sie will die Trennung von Staat und Religion. Erdoğan will den Islam als Staatsreligion.

Cumhuriyet heißt übersetzt „Republik“. Die Türkei noch als solche zu bezeichnen, als Republik, fällt immer schwerer. Aber um diese Zeitung muss man kämpfen.

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