Kommentar Radler und Autos: Territorialkampf in den Städten

Weder Auto- noch Radfahrer sind immer die Guten. Im Straßenverkehr müssen diejenigen Vortritt haben, die am wenigsten Platz beanspruchen.

Fahrradfahrer fahren über den Kreisverkehr an der Siegessäule in Berlin.

Fordern die „Fahrradstadt“: Radler bei einer Sternfahrt am Sonntag in Berlin. Foto: dpa

Die niederländischen Verkehrsplaner waren nach London gerufen worden, um Tipps zu geben, wie man die Metropole fahrradfreundlicher gestalten könnte, nach dem Vorbild holländischer Städte, wo Radfahrer über ein Netz breiter Wege dahingleiten. Die Niederländer schüttelten die Köpfe angesichts der Londoner Misere: Die Straßen seien schon so voll und kaum erweiterbar. Nun denkt man darüber nach, in London leer stehende U-Bahn-Tunnel für Fahrradstrecken zu nutzen.

Verkehrsplanung ist Territorialkampf, das Territorium ist aber meist nicht zu vergrößern. Zu manchen viel befahrenen Hauptstraßen Berlins etwa rät die örtliche Polizei den Radfahrern inzwischen hinter vorgehaltener Hand, an kritischen Abschnitten lieber auf den Bürgersteig auszuweichen, als sich nach dem abrupten Ende eines Radweges in den gefährlichen Lkw-Verkehr zu stürzen. Dass sogar Polizisten illegale Überlebenstaktiken empfehlen, zeigt, dass der Straßenverkehr teilweise zum rechtsfreien Raum geworden ist im Konkurrenzkampf zwischen Fußgängern, Radlern und Autofahrern.

Es stimmt nicht, dass die Autofahrer dabei immer das Recht des Stärkeren genießen. Denn auch für Lkw- und Pkw-Fahrer ist der Territorialkampf bedrohlich. Überall auf der Welt existiert die Regel für Autofahrer, auch in Mumbai: Fahre um Himmels willen keinen Radler oder Fußgänger an, sonst bist du fällig.

Und weder Radler noch Fußgänger sind immer die Guten. Radler überholen Autos rechts zu knapp, fahren ohne Licht, sind auf dem Radweg in entgegengesetzter Richtung unterwegs. Unter Fußgängern wiederum gibt es die Spezies, die mit unverschämtem Lächeln bei Rot über die Ampel spaziert nach dem Motto: Wer mich anfährt, ist ein Schwein.

Moralische Hierarchien bringen also wenig, man sollte pragmatisch argumentieren: Diejenigen Verkehrsteilnehmer haben Vortritt, die am wenigsten Platz beanspruchen für ihre Mobilität. Fußgänger, U-Bahn- und Busfahrer, dann kommen die Radler.

Am meisten Platz braucht der Individualverkehr mit als Autos getarnten Kleinpanzern. Er ist ein Auslaufmodell. Deswegen hat der Allgemeine Deutsche Fahrradclub Recht mit seinen Forderungen nach mehr Radspuren und Tempolimits. Das wird den Autofahrern etwas wegnehmen. Konsenspolitik kann es nun mal nicht geben, wenn um begrenzte Territorien gestritten wird.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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