Kommentar Russland-Wahl: Putin, der Totengräber Russlands

Die Zeichen der Zeit hat Wladimir Putin nicht erkannt und rund acht Millionen Stimmern verloren. Es ist fraglich, ob er die neue sechsjährige Amtszeit überstehen kann.

Wladimir Putin zieht zum dritten Mal als Präsident in den Kreml ein. Seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen stand von vornherein nichts im Wege. Die Stimmung in der Wählerschaft hatte sich seit den Fälschungsvorwürfen an die Adresse der Kremlpartei bei den Dumawahlen indes deutlich verändert.

Zwar gab es nie Zweifel, dass der ehemalige russische Heilsbringer noch immer der aussichtsreichste Kandidat und beliebteste Politiker in Russland ist. Er musste aber deutlich Federn lassen. Mit rund 60 Prozent wurde Putin nun wiedergewählt. Im Vergleich zur Präsidentschafstwahl 2004 verlor er immerhin acht Millionen Stimmen.

Der unbestrittene „nationale Leader“, als der er sich jahrelang feiern liess, ist der neue Kremlchef nicht mehr. Zumal die Wahlkampftechnologen und handverlesenen Auszähler alles dafür getan haben, dass dem Kandidaten die Schmach einer Stichwahl erspart bleibt. Putin hatte sich zwar für eine faire Wahl stark gemacht und Überwachungskameras in den Wahllokalen gegen Manipulationsversuche installieren lassen.

Er schreckte aber davor zurück, den Wahlkomissären Fäschungen zu verbieten und mit Strafverfolgung zu drohen. Putins Initiative blieb daher durchsichtig. Den einfacheren Wählern auf dem Lande und in der Provinz vermittelte er den Eindruck von Fairness. Gleichzeitig hielt er den Wahlbeamten die Hintertür offen, die erforderliche Mehrheit herbeizuzaubern.

Zweifelhafte Neuregelungen des Wahlgesetzes

Die Verstösse gegen das Wahlreglement gehen in die Tausende, zumeist zugunsten des Prätendenten Putin. Die Opposition in den Städten hielt die Webcam-Initiative ohnehin für Augenwischerei. Als Wähler hatte er die Mittelschichten und Vertreter der Intelligenz ohnehin schon abgeschrieben.

Klaus-Helge Donath ist Russland-Korrespondent der taz.

Ab Montag wird er sich aber mit ihnen befassen müssen. Denn die zehn Prozent Zuschlag, mit denen der Premier die Stichwahl umschiffte, werden der Opposition ausreichend Munition liefern, um die Wahl anzuzweifeln. Der Protest wird nicht abflauen, sondern zunehmen. Nach der illegitimen Duma hängt nun auch dem neuen Kremlchef das Stigma der Illegitimität an.

Es ist fraglich, ob der Präsident mit dieser Hypothek die sechsjährige Amtszeit überstehen kann. Dass der ehemalige Pantokrator nach den radikalen Veränderungen in seinem Land nicht in der Lage war, eine Version Putin 2.0 vorzulegen, hat er zum Schrecken vieler Bürger in den letzten Wochen demonstriert.

Der Wille zur Macht

Die Zeichen der Zeit hat er nicht erkannt. Auch programmmatisch hatte er den ausgewalzten Mantras von Stabilität und Bedrohung aus dem Westen nichts Neues hinzuzufügen. Stattdessen verprellte er jene Menschen, die er für Aufbruch und Modernisierung bräuchte. Putin kann sich nicht neu erfinden, es gibt nur einen – den Sowjetnostalgiker.

Putins Triumph ist ein Pyrrhussieg, der Russland teuer zu stehen kommt. Die Chance zu einem ehrenvollen Rückzug und einem angemessenen Platz in der Historie hat der Kremlchef preisgegeben. Der Wille zur Macht und der Glaube an die eigene Hyperkompetenz haben ihn geblendet.

Die Hybris wird sich rächen. Schon bald werden ihn auch seine engeren Vertrauten fallenlassen, weil er zu einer Gefahr geworden ist. Zu hoffen bleibt, dass der Geblendete nicht als Totengräber Russlands in die Geschichte Eingang findet.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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