Kommentar Sicherungsverwahrung: Der Trick mit der Therapie

Jahrelang gab es Streit zwischen den Gerichten in Karlsruhe und Straßburg. Bei der Sicherungsverwahrung hat Straßburg zu Recht eingelenkt.

Zwei Menschen gestikulieren auf einem Gefängnisflur, daneben eine Reihe Stühle

Ein therapeutisches Rollenspiel? Nein, nur Wärter_innen in der JVA Neustrelitz. Foto: dpa

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) hat das deutsche Therapieunterbringungsgesetz gebilligt – und damit zurecht Frieden mit der deutschen Kriminalpolitik geschossen.

Das Straßburger Urteil ist zu begrüßen. Es wäre angesichts der aktuellen Herausforderungen für die Menschenrechte, insbesondere in Staaten wie Russland, Polen und Ungarn fatal gewesen, wenn sich Straßburg und Karlsruhe wieder zerstritten hätten. Nun können beide Seiten ihren jahrelangen Konflikt als letztlich doch gelungene Kooperation abhaken: Einmal hat Karlsruhe nachgegeben, jetzt hat Straßburg eingelenkt.

Die Sicherungsverwahrung kann in Deutschland verhängt werden, wenn ein Täter nach Verbüßung der Strafe noch gefährlich ist. Er bleibt dann präventiv hinter Gittern. Bis 1998 war die Sicherungsverwahrung auf maximal zehn Jahre begrenzt, dann wurde diese Frist gestrichen – auch für Straftäter, die noch unter der alten Regel verurteilt worden waren.

Das Bundesverfassungsgericht billigte 2004 diese nachträgliche Verschärfung der Sicherungsverwahrung, denn diese sei keine Strafe, sondern eine präventive Maßregel. Das sah 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) allerdings anders: Die Sicherungsverwahrung wirke wie eine Strafe, also gelte auch das Rückwirkungsverbot für Strafgesetze.

Rund um die Uhr überwacht

Über 100 der rund 500 Sicherungsverwahrten in Deutschland waren von dem Urteil betroffen und hätten sofort freigelassen werden müssen. Doch die deutschen Gerichte waren unsicher und entließen nur rund 40 Männer, die dann überwiegend rund um die Uhr von der Polizei überwacht wurden.

Das Bundesverfassungsgericht schaffte für das Straffolgeurteil Akzeptanz, indem es 2011 mit einer etwas anderen Begründung selbst die nachträgliche Verschärfung der Sicherungsverwahrung kippte. Doch in der Zwischenzeit hatte die Politik schon einen Trick gefunden, wie sie das Straßburger Urteil aushebeln konnte. Die Sicherungsverwahrten, die nicht entlassen werden sollten, wurden einfach als „psychisch gestört“ eingestuft und ihre zwangsweise Unterbringung als „Therapie“.

Das Bundesverfassungsgericht machte – unter Verweis auf seine Schutzpflicht gegenüber der Bevölkerung – den Trick mit und ließ sogar Fälle „disozialer Persönlichkeit“ als psychische Störung durchgehen. So gesehen war potenziell jeder Sicherungsverwahrte auch psychisch gestört.

Mit gewisser Spannung war nun erwartet worden, wie der Straßburger Gerichtshof das deutsche Manöver beurteilen würde. Doch die Eskalation blieb aus. Die EGMR-Richter akzeptierten in einem Fall aus Rosdorf bei Göttingen, dass der Kläger – ein laut Gutachten noch gefährlicher 72-jähriger Mörder und Vergewaltiger – an einer „sexuellen Devianz“ leide und deshalb psychisch krank sei. Eine Therapie werde ihm zumindest angeboten, auch wenn er sie verweigere, so der EMRK. In einem Fall wie diesem sei die Sicherungsverwahrung (die hier Therapieunterbringung heißt) nun doch keine Strafe und könne auch nachträglich angeordnet werden.

Mehr Therapie

Die Straßburger Intervention von 2009 war auch insoweit erfolgreich, dass sie Karlsruhe 2011 zu einem besonders radikalen Urteil anstachelte. Danach musste die Sicherungsverwahrung in Deutschland insgesamt neu konzipiert werden. Sie soll jetzt insgesamt therapieorientiert sein und muss darauf hinarbeiten, die Verwahrten irgendwann doch zu entlassen, selbst wenn diese sich selbst schon aufgegeben haben. Diese Reform war sinnvoll, auch wenn sie naturgemäß nur bedingt erfolgreich sein kann.

Außerdem wurde der an sich bedenkliche Trick mit der psychischen Störung nicht exzessiv angewandt. Von rund 100 potenziell Betroffenen waren 2013 nur 13 in entsprechenden „Therapie“-Einrichtungen untergebracht, die meisten davon in Bayern. Die anderen kamen oder blieben doch in Freiheit und man hat nicht mehr viel von ihnen gehört.

Überhaupt bleibt festzuhalten, dass die Sicherungsverwahrung in Deutschland sehr zurückhaltend angewandt wird, verglichen mit der Strafpolitik in vielen anderen Staaten Europas. In Südeuropa, in Frankreich oder in Großbritannien bekommen gefährliche Täter eher exzessiv lange Strafen von 30 bis 40 Jahren aufgebrummt. Repression und Prävention wird dort einfach vermischt. Betroffen sind deshalb jeweils Tausende, während in Deutschland nur etwas mehr als 500 Täter in der spezifisch präventiven Sicherungsverwahrung sitzen, und regelmäßig überprüft wird, ob sie entlassen werden können.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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