Kommentar Suhrkamp-Krise: Verbissen in den Untergang

Die Autoren schicken immer überdrehtere Solidaritätsbekundungen. Dabei müsste der Verlag schrumpfen und Bestseller generieren, um zu überleben.

Die Suhrkamp-Regale sollten besser mal richtig aus- statt immer nur eingeräumt werden Bild: dapd

Nichts ist untergegangen, nicht einmal der Suhrkamp Verlag. Die letzten Meldungen waren jedoch beunruhigend: Da erklärte Peter Handke den Minderheiten-Gesellschafter Hans Barlach zum „Unhold“, und es war zu erfahren, dass Verlegerin Ulla Berkewicz einst auf Verlagskosten Coaching-Kurse wie „Entdecke die Wolfsfrau in dir“ für 100.000 Euro buchte.

Dazu kamen öffentliche Betrachtungen über ihre 1.000-Quadratmeter-Villa am Nikolassee nebst Innendekor und Bruder, ein mittlerweile online nachlesbarer Gerichtsbeschluss zur Abberufung der Geschäftsführung und immer überdrehtere Solidaritätsbekundungen der hochrangigen Suhrkamp-Autorenschaft, die insgesamt auf den schlichten Antagonismus von Geist und Geld hinausliefen. Hier die hehre Kultur, die „Institution“, die „große Verlegerin“ - dort die gemeine Heuschrecke, der Unhold, das Kapital. Durs Grünbein wollte gar bei Suhrkamp ein „Wachstum in Jahresringen, beinah wie in der Natur“ erlebt haben, fast so, als handle es sich nicht um ein Unternehmen, sondern um ein Rilke-Gedicht.

Was aber, wenn diese Art des Wachstums nicht geeignet ist, den Verlag auch in Zukunft zu erhalten? Wenn Hans Barlach nicht nur der Bösewicht ist, sondern der Mann, der die roten Zahlen kennt? Der Verkauf des Suhrkamp-Archivs (nach Marbach) und des Frankfurter Grundstücks im Jahr 2010 passten ja schon nicht so recht in Grünbeins harmonische Wachstumshypothese, waren aber für Suhrkamp überlebenswichtig: ein Überleben auf Kosten der gewachsenen Substanz.

Dem Umzug nach Berlin hatte Barlach nur zugestimmt, wenn daraus Einsparungen resultieren würden. Dass man nicht dauerhaft Verluste schreiben kann, müsste doch eigentlich auch jedem Autor einleuchten. Stattdessen scheinen viele davon auszugehen, dass ihr Verlag so eine Art sozialistischer Staatsbetrieb ist, mit einem viel zu großen Apparat und etwas überbordender Repräsentationsabteilung. Sich aus Traditionsgründen für den Status Quo stark zu machen, rettet Suhrkamp nicht.

An kulturellem Kapital mangelt es nicht. Die Backlist mit Hesse, Brecht, Beckett, Frisch und so weiter ist ein Pfund, das dem Verlag mehr als die Hälfte seiner Umsätze beschert. Doch was als Stärke erscheint, ist in doppelter Hinsicht ein Alarmsignal: Erstens weil die Bedeutung der Backlist tendenziell abnimmt, da sich jedes alte Buch rasch und billig antiquarisch im Internet erwerben lässt. Zweitens, weil es darauf verweist, wie gering die Umsätze mit Gegenwarts-Titeln und mit Taschenbüchern sind. Mit denen verdienen andere Verlage am meisten Geld.

So bewundernswert die Fülle des Programms auch ist, so handelt es sich doch um eine Überfluss- und Überschussproduktion. Barlach hat im Interview mit der FAZ nicht ohne Gehässigkeit darauf hingewiesen, dass der Verlag mit den zwölf Büchern von Ulla Berkewicz im Jahr 2011 exakt 800 Euro Umsatz gemacht habe. Damit ist sie eine von sehr vielen Erfolglosen im Programm. Wäre sie wirklich die große Verlegerin, würde sie ihre Bücher ohnehin nicht im eigenen Verlag publizieren - nicht aus ökonomischen Gründen, sondern weil es zu Interessenkonflikten führt, wenn man sich selbst verlegt. Andere schreibende Verleger wie Michael Krüger oder Jo Lendle haben da mehr Gespür.

Wer auch immer den Suhrkamp Verlag in Zukunft leitet, wird eine schier unlösbare Aufgabe haben, die darin besteht, Verlag und Programm spürbar zu verkleinern und Bestseller zu generieren, von denen es bei Suhrkamp viel zu wenige gibt. Das heißt aber, aus Suhrkamp müsste ein Verlag werden wie Rowohlt, Fischer, Piper und all die anderen auch. Nur: Wozu brauchen wir dann noch Suhrkamp? Brauchen wir es, jenseits der Kanzelreden und der Beschwörungen des großen Geistes überhaupt?

Die Bücher von Goetz, Tellkamp oder Handke könnten doch ebenso gut auch in anderen Häusern erscheinen. Verzichten müssten sie nur auf den Resonanzraum der kulturellen Institution und den damit verbunden Reputationsgewinn.

Worin in Zukunft Glanz und Größe Suhrkamps - jenseits der Backlist und jenseits eines überbordenden Programms - bestehen könnte, das ist die Frage, die nun im Raum steht. Diese Frage ist nicht mit dem Verweis auf die Vergangenheit zu beantworten. Vielleicht ist sie überhaupt nicht zu beantworten. Dann wäre die Verbissenheit, mit der die Gesellschafter sich bis in den gemeinsamen Untergang hinein vernichten, ein Symptom ihrer Ratlosigkeit.

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