Kommentar Terrorrazzia in Chemnitz: Kein Mob, sondern Rechtsterroristen

Der Fall der mutmaßlichen rechtsextremen Terrorzelle in Chemnitz zeigt: Das Problem Verfassungsschutz ist mit Maaßens Abgang noch lange nicht erledigt.

Polizisten führen einen Mann ab

Umsturzfantasien sind in der rechten Szene – insbesondere in Ostdeutschland – allgegenwärtig Foto: dpa

Es gab keinen Mob in Chemnitz, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Es gab auch keine Hetzjagden in Chemnitz, zumindest keine belastbaren Hinweise auf solche, sagte der inzwischen abberufene Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen.

Nun, was es offenbar gab in ­Chemnitz, das ist eine siebenköpfige rechtsextreme Terrorgruppe, die Anschläge auf Ausländer und politisch Andersdenkende plante und bereits dabei war, sich halbautomatische Schusswaffen zu besorgen, um diese Pläne auch in die Tat umzusetzen. Schon Mitte September, während halb Deutschland die semantischen Feinheiten des Begriffs „Hetzjagd“ ­diskutierte, wurde ganz praktisch ­geübt für die zum Tag der Deutschen Einheit am kommenden Mittwoch geplante Tat: Mit Quarzhand­schuhen, Glasflaschen und einem Elektroschocker ausgestattet, zogen die Mitglieder der selbst ernannten Bürgerwehr nach einer rechtsextremen Demonstration von „Pro Chemnitz“ zur Chemnitzer Schlossteich­insel, spielten sich bei einer Ge­burtstagsfeier als Ausweiskontrolle auf und griffen anschließend eine iranisch-pakistanische Gruppe an.

So lauten die Erkenntnisse der Bundesanwaltschaft, die am Montag die Festnahme der mutmaßlichen Rechtsterroristen veranlasste. Die Ermittlungen stehen noch am Anfang, und doch lassen sich schon Parallelen ziehen etwa zu den Rechtsterroristen aus Freital, die 2016 festgenommen wurden: Rassistische Mobilisierungen und rechtsextreme Demonstrationen stellen eben nicht nur unmittelbar für den jeweiligen Tag des Geschehens eine Gefahr dar. Sie sind, und zwar gerade, wenn sie als legitime Meinungsäußerung verharmlost werden, immer auch Ermutigung und Nährboden für eine weitergehende Radikalisierung. Umsturzfantasien sind in der rechten Szene insbesondere in Ostdeutschland allgegenwärtig – wenn es mit den Aufmärschen so gut läuft, warum nicht auch einen Schritt weiter gehen?

Was den Bundesverfassungsschutz angeht, gibt es angesichts der jüngsten Erkenntnisse wieder nur die zwei Möglichkeiten, die schon beim Terrornetzwerk NSU galten: Entweder hat er nichts gewusst, oder er hat die Öffentlichkeit bewusst getäuscht. Eine Daseinsberechtigung für die Behörde ergibt sich aus keiner Variante. Dieses Problem ist mit Maaßens Abgang noch lange nicht erledigt.

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Redakteurin im Ressort Reportage&Recherche | Jahrgang 1990 | Seit 2014 Redakteurin der taz, zunächst im Berlinressort | 2016-2020 schwerpunktmäßig Recherchen zur extremen Rechten, dazu 2019 "Angriff auf Europa" im Ch. Links Verlag erschienen (mit C. Jakob, P. Hecht, N. Horaczek, S. am Orde) | 2020-2022 als Produktentwicklerin verantwortlich für die Konzeption der wochentaz | 2022-2023 Redakteurin im Ressort Zukunft – Klima Wissen Utopien | Seit 2023 im Investigativteam der taz.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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