Kommentar Türkei und PKK: Erdoğan in der Zeitmaschine

Plötzlich ist er wieder da, der Krieg gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK. Neuwahlen werden zeigen, ob es eine Rückkehr zum Dialog geben kann.

Kinder spielen nach einem Luftangriff mit Munitionsresten

Kinder spielen nach einem Luftangriff mit Munitionsresten. Foto: reuters

Es ist, als habe jemand einen Hebel umgelegt und die Türkei mit einer Zeitmaschine 20 Jahre zurückversetzt. Täglich wird geschossen, gemordet und zurückgemordet. Täglich finden Beerdigungen statt, wo Polizisten, Soldaten oder erschossene PKK Mitglieder, als Märtyrer verklärt, zu Grabe getragen werden.

Es scheint, als wäre das Land in wenigen Tagen in die Hochzeit des Bürgerkriegs zwischen der kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem Staat Türkei zurückversetzt. Knapp zwei Wochen nach dem Terroranschlag in Suruç, bei dem 32 junge Menschen durch einen IS-Attentäter getötet und mehr als 100 schwer verletzt wurden, beginnen viele Türken und Kurden sich die Augen zu reiben und zu fragen: Was ist hier eigentlich passiert?

Warum befinden wir uns plötzlich wieder mitten in einem scheinbaren Bürgerkrieg, der lange für überwunden galt und dessen Hinterlassenschaft gerade noch durch einen sogenannten Friedensprozess politisch geordnet werden sollte? Ist das tatsächlich alles nur eine Reaktion auf das Attentat in Suruç?

Als Erstes fällt auf, dass zwei Wochen nach dem Attentat kaum jemand von den Terroristen des Islamischen Staates, die ja für das Massaker in Suruçverantwortlich sind, redet. Weder spielt die Terrormiliz des IS bei den Luftangriffen der türkischen Armee eine Rolle, noch wird im Parlament, in den Medien oder auf der Straße über den IS-Terror debattiert. Stattdessen ist, wie eine psychologische Bombe, erneut die „kurdische Frage“ in den Köpfen der Menschen explodiert.

Eine erste Antwort darauf, warum das so ist, ist der Verweis auf die Niederlage von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bei den Wahlen Anfang Juni. Die kurdisch-linke HDP hat mit ihrem Wahlerfolg die Einführung eines Präsidialsystems nach Erdoğans Vorstellungen verhindert. Erdoğan dürfte nun versuchen, dies durch Neuwahlen im November in seinem Sinne zu korrigieren.

Zurück zu Gewalt und Repression

Der Friedensprozess mit den Kurden hat sich an der Wahlurne für die AKP nicht ausgezahlt. Deshalb hat Erdoğan jetzt das Attentat in Suruçund den darauffolgenden Mord an zwei Polizisten durch die PKK zum Anlass genommen, zu Gewalt und Repression zurückzukehren. Alles also nur, weil Erdoğan so die kurdisch-linke HDP aus dem Parlament drängen will? Das spielt sicher eine Rolle, ist aber nicht die ganze Wahrheit.

Nicht nur das Militär stürzt sich mit „Feuereifer“ auf die Kurden. Auch die PKK ist über Nacht wieder in der Lage, überall zuzuschlagen. Die Hardliner auf beiden Seiten scheinen nur darauf gewartet zu haben, dass es wieder losgeht. Aber auch in den sozialen Medien explodiert der Hass. Als vor einigen Tagen das Gerücht umging, der PKK-Übervater Abdullah Öcalan sei auf der Gefängnisinsel Imralıgestorben, hagelte es hämische Kommentare.

Man könnte meinen, sowohl Politiker wie die Bevölkerung hätten in den letzten 20 Jahren nichts gelernt. Wie damals werden angebliche oder tatsächliche Sympathisanten der PKK massenhaft verhaftet – von den 1.300 in der letzten Woche Festgenommenen werden lediglich 150 dem Umfeld des IS zugerechnet. Wie damals werden kurdische Politiker kriminalisiert, wie damals wird aus allen Rohren geschossen.

Entscheidend sind die Neuwahlen

Doch besiegt wurde die PKK nicht, und jeder einigermaßen klar denkende Mensch weiß, dass die „kurdische Frage“ auch heute so nicht gelöst werden wird. Vielleicht bedarf es dieses neuerlichen Gewaltexzesses, um sich danach ernsthaft und ohne taktische Spielchen zu einer politischen Lösung zusammenzusetzen. Entscheidend dafür werden die voraussichtlich im November stattfindenden Neuwahlen sein.

So wie die Wahlen im Juni ein Referendum über die Alleinherrschaft Erdoğans waren, werden die kommenden Wahlen darüber entscheiden, ob die Gewalt weitergeht oder das Land zu einem politischen Dialog mit den Kurden zurückkehrt.

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