Kommentar US-Präsidentschaftswahl: Etwas Gutes hat das auch

Trumps Kandidatur fordert die US-Zivilgesellschaft heraus. Und die muss jetzt beweisen, dass sie den Republikaner verhindern kann.

Ein älterer Mann mit blond-orangen Haaren gestikuliert von einem Rednerpult

Donald Trumps Slogan „Make America great again“ müsste eigentlich „Make America white again“ heißen Foto: ap photo

Das Wort „Immigration“ bekommt in Amerika in diesen Tagen einen ganz neuen Klang. Nach Donald Trumps faktischer Nominierung als Kandidat stiegen bei „Google Trends“ diese Woche die Suchanfragen „how to move to Canada“ steil an. Kanada ist für viele Amerikaner derzeit das bessere Amerika. Aber wie ernst ist die Gefahr eines Präsidenten Trump? Und was heißt das für die USA?

Glaubt man den Umfragen, dann scheint ein Wahlsieg Hillary Clintons gesetzt. Fänden am kommenden Dienstag die Wahlen statt, würde Clinton all jene Bundesstaaten gewinnen, die Barack Obama 2012 geholt hatte. Clinton, so scheint es, spricht für die Mehrheit der Amerikaner.

Doch sollte Trump in den Umfragen um 5 Prozentpunkte steigen, läge Clinton nur mit 285 zu 253 Wahlstimmen vorn. Bei weiteren 5 Prozentpunkten wäre die Wahl mit 233 zu 305 für Clinton verloren. Angesichts dessen, wie Trump seine bisherigen Gegner schlicht erlegt hat, sollte man das Szenario nicht leichtfertig abtun. Trump hat das Momentum auf seiner Seite.

Mit ihm reüssiert eine Welle des Hasses und der Intoleranz. Trumps Slogan „Make America great again“ müsste „Make America white again“ heißen. Er setzt auf eine Renationalisierung der Innenpolitik, in der die Interessen der weißen Mittelschicht, die in der globalisierten Ökonomie tiefe Angst vor dem Abstieg hat, im Zentrum stehen.

Trumps Erfolg ist auch, zumindest indirekt, als eine Antwort auf den progressiven Liberalismus Barack Obamas zu verstehen. Obama zog auf einer Welle des Aufbruchs ins Weiße Haus ein, er hat die USA weltzugewandter und liberaler gemacht. Er hat die Rechte von Minderheiten betont. Die weiße, christlich-konservative Mittelklasse hingegen hat unter Obama an Bedeutung verloren. Vor unseren Augen findet ein Kultuturkampf zwischen dem weißen und dem bunten Amerika statt, ausgetragen vor der Kulisse des Wahlkampfes.

Die Hector-Peterson-Schule in Berlin-Kreuzberg hatte einen fatalen Ruf. Sie wollte sich neu erfinden. Wir haben sie ein Jahr lang beobachtet. Ob es funktioniert hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Mai. Außerdem: Die SPD steckt in der Abwärtsspirale. Drei Besuche bei Menschen, die erklären, warum sie die Partei der Zukunft ist. Und: Das sächsische Freital wurde bekannt für Angriffe auf Flüchtlinge. Jetzt ist dort die syrische Band Khebez Dawle aufgetreten – gegen Rechts. Eine Reportage. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Wer darauf baut, dass Clinton Trump schon stoppen wird, könnte eine unangenehme Überraschung erleben. Um das zu erreichen, bedarf es mehr als eines Wahlkampfes. Die kommenden Monate werden vielmehr ein Gütetest für die amerikanische Zivilgesellschaft sein.

Es fällt leicht, sich mit wohlfeilem Schaudern über einen Wahlsieg Trumps auszulassen. Wichtiger aber wäre es, diesen Wahlkampf als demokratische Chance zu betrachten. Politische Partizipation wird in den USA durch fehlende Parteienvielfalt und die Abhängigkeit von Wahlkampfspenden beschnitten. Allzu oft wirken Wahlen in Amerika wie die Entscheidung zwischen Pepsi oder Coke.

Doch gerade steht mehr zur Wahl. In den kommenden Monaten geht es um Toleranz und Weltoffenheit oder die Wiederkehr eines aggressiven Nationalismus, um den inneren Frieden und die Frage, ob Freiheit bedeutet, eine Waffe tragen zu dürfen – oder die Freiheit, anders zu sein.

Diese Freiheit musste einst erkämpft werden, von weißen und schwarzen Bürgerrechtlern, von Schwulen und Lesben, hispanischen Einwanderern und der Frauenbewegung. Trumps Erfolg ist als Angriff auf diese Freiheiten gemeint. Verhandelt wird 2016 deshalb auch über einen Vertrag der Zivilgesellschaft. Diese große Debatte, was das moderne Amerika ausmacht, betrifft jeden Amerikaner und jede Amerikanerin. Das Wahljahr 2016 taugt nicht für Popcorn auf der Couch. Es ist Zeit, sich einzumischen.

Die USA sind ja nicht nur das Land der Trumps – sie sind auch das Land von Occupy Wall Street, Black Lives Matters und Millionen von jungen Menschen, die für Bernie Sanders stimmen. Es ist jetzt an ihnen, die Freiheit gegen Trump und seine Wutbürger-Bewegung zu verteidigen. Wenn das bunte Amerika zeigt, dass das intolerante Amerika keine Chance mehr hat, wenn also ein Gefühl erwächst, dass die Trumps dieser Welt vielleicht laut, aber nicht in der Mehrheit sind – dann hätte Trumps Kandidatur sogar etwas Positives bewirkt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.