Kommentar Waffenruhe in Afghanistan: Vorsichtig auf Frieden hoffen

Die Afghanen, darunter auch die Taliban, sind mehrheitlich kriegsmüde. Ein Abzug der US-Truppen muss Teil von Friedensverhandlungen sein.

Männer, die weiße Turbane tragen, sitzen auf dem Boden und unterhalten sich

Teilnehmer des Friedensmarsches bei der Ankunft in Kabul Foto: reuters

Sich umarmende Talibankämpfer und Regierungssoldaten, freudentränenüberströmte Kabuler Generäle. Dazwischen die von Blasen geplagten Teilnehmer des Friedensmarsches aus dem Süden des Landes, die für öffentlichen Druck gesorgt haben. Es ist schwer, sich der Euphorie zu erwehren, die die Bilder und Berichte aus Kabul, Kandahar, Kundus und anderen afghanischen Provinzen auslösen. Sie erinnern an die Waffenruhe im Ersten Weltkrieg an Weihnachten 1914, als deutsche und englische Soldaten zwischen Stacheldrahtverhauen miteinander Fußball spielten. Nur: In Europa wurde danach noch vier Jahre lang weiter gekämpft. Und die beiden Anschläge auf Friedenstreffen am Freitag und Samstag zeigen, dass der „Islamische Staat“ (IS) sich als Quertreiber profiliert.

Schon vorher war klar, dass Afghanistans Bevölkerung nach 40 Jahren Krieg mehrheitlich einfach Frieden will. Nun ist auch klar, dass viele Aufständische zu dieser Bevölkerung zählen. Die Eis essenden Taliban am Wochenende in Kabul bezeugen das.

Diese Kämpfer sind einer ehrenvollen Rückkehr ins zivile Leben nicht abgeneigt. Aber sie werden nicht einfach ihre Waffen niederlegen. Sie brauchen eine Friedenslösung und Aussichten auf eine gesicherte Zukunft. Das wird nicht einfach in einem Land, in dem 55 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben.

Die Taliban sind Verhandlungen nicht grundsätzlich abgeneigt. Ihre Weigerung, jetzt die Waffenruhe zu verlängern, verdeutlicht, dass sie die USA und nicht die von ihnen abhängige Regierung in Kabul als Verhandlungspartner ansehen. Darauf muss und kann Washington eingehen, durch Gespräche über einen Truppenabzug – nicht als Vorbedingung, sondern als Teil einer Friedenslösung. Die afghanische Regierung und ihre Unterstützer haben das bereits im Februar in ihren Friedensplan geschrieben.

Waffenstillstände gehören zu vertrauensbildenden Maßnahmen, die Friedensgespräche vorbereiten können – selbst wenn sie nur zeitweilig gelten. Die jetzige Waffenruhe hat gezeigt, dass alle Seiten in der Lage sind, eine solche durchzusetzen. Dass die Taliban nun – vorerst? – wieder in den Kriegsmodus zurückschalten, bedarf nicht nur Verurteilung, sondern Diplomatie mit Fingerspitzengefühl.

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Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network Kabul/Berlin (https://www.afghanistan-analysts.org/en/). Abschluss als Diplom-Afghanist, Humboldt-Univ. Berlin 1985. Erster Afghanistan-Aufenthalt 1983/84, lebte und arbeitete seither insgesamt mehr als 13 Jahre dort, u.a. als Mitarbeiter der DDR-, der deutschen Botschaft, der UNO und als stellv. EU-Sondergesandter. Seit 2006 freischaffend. Bloggt auf: https://thruttig.wordpress.com zu Afghanistan und Asylfragen. Dort auch oft längere Fassungen der taz-Beiträge.

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