Kommentar Wahl in Ungarn: Urängste erfolgreich mobilisiert

Viktor Orbán ist mit seinem ausländerfeindlichen Kurs zum dritten Mal Wahlsieger geworden. Was wird er mit seiner Machtfülle jetzt anfangen?

Viktor Orban neben Flagge

Zum dritten Mal Wahlgewinner: Der nationalistische Fidesz-Politiker Viktor Orbán kann durchregieren Foto: dpa

Viktor Orbáns Wahlstrategie ist voll aufgegangen. Mit weniger als 50 Prozent der gültigen Stimmen wird seine Koalition voraussichtlich über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügen. Neben dem oppositionsfeindlichen Wahlsystem, das wie kein anderes in Europa den Wählerwillen verzerrt, war es die völkisch-nationalistische Angstmache, die Orbán und seiner Fidesz-Partei die Stimmen zugetrieben hat.

Vor drei Jahren, nach fünf Jahren an der Macht, war der Premier abgenützt. Der versprochene Wohlstand wollte sich nicht einstellen, die ständigen Attacken gegen Brüssel vermochten das Volk nicht mehr ausreichend zu mobilisieren. Umfragen zeigten ein Absacken der nationalkonservativen Fidesz in der Wählergunst.

Dann kamen im Sommer 2015 die Flüchtlinge – Ungarn war für einige Monate Etappe einer Migrationsbewegung von mehr als einer Million mehrheitlich muslimischer Menschen. Orbán hatte sein neues Thema gefunden. Zwar hat kaum ein Kriegsflüchtling je Ungarn als Ziel seiner Asylsuche ins Auge gefasst, doch die Urängste eines Volkes, das 150 Jahre unter osmanischer Fremdherrschaft litt und anschließend ein Jahrhundert unter den Habsburgern nach Unabhängigkeit strebte, waren leicht zu mobilisieren.

Was wird Orbán mit seiner Machtfülle anfangen? Die Verfassung ist bereits so zugeschnitten, dass der Regierungschef fast nach Belieben schalten und walten kann. Die Institutionen, von der Zentralbank bis zur Generalstaatsanwaltschaft, sind fast alle in der Hand von Orbáns Vertrauten. Nur in der Justiz zeigen immer wieder unabhängige Richter durch ihre Urteile, dass Restbestände der Gewaltenteilung funktionieren. Es ist zu erwarten, dass auch sie an die Kandare genommen werden. Auch die wenigen noch verbleibenden regierungskritischen Medien müssen um ihre Existenz fürchten.

Ungemütlich wird es in jedem Fall auch für die eigentliche Opposition: unabhängige Nichtregierungsorganisationen, die Korruptionsfälle aufdecken oder Menschenrechtsverletzungen anprangern. Vor allem jene, die teilweise von der Open Society Foundation des Milliardärs George Soros finanziert werden. Soros wird von Orbán als Strippenzieher hinter Opposition und aufmüpfiger Zivilgesellschaft verantwortlich gemacht. Es ist zu erwarten, dass aufgeklärte, europäisch orientierte junge Menschen, Ungarn noch häufiger als bisher den Rücken kehren und eine Zukunft woanders suchen werden.

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*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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