Kommentar de Maizières Syrien-Wende: Der Kaffeehausminister

Thomas de Maizière hat selbst mit dafür gesorgt, dass der Westen nicht in Syrien eingriff. Seine jetzige Kehrtwende ist für das Land bedeutungslos.

Thomas de Mai

Zeit für die nächste Kehrtwende – oder Kaffeepause? Foto: dpa

Etwas mehr als drei Jahre ist es her, dass Thomas de Maizière im taz-Interview gegen angebliche „Kaffeehausintellektuelle“ zu Felde zog. So bezeichnete der damalige Verteidigungsminister alle, die ein militärisches Eingreifen in Syrien forderten. Das sei „Dampfgeplauder von Leuten, die keine Verantwortung tragen“. Einen IS gab es damals noch nicht.

Heute ist de Maizière Innenminister und für die Bewältigung der Flüchtlingswelle aus Syrien zuständig. Und verkündet, der Kampf gegen Assad und IS werde nicht mit der „notwendigen Entschiedenheit“ geführt. Europa dürfe dem Morden nicht zusehen. Das ist richtig – und doch verschweigt de Maizière das Wesentliche: Er selbst hat mit dafür gesorgt, dass der Westen nicht in Syrien eingriff.

Das Gute an der Flüchtlingskrise ist, dass wieder über Syrien gesprochen werden muss. Das Schlechte, dass keine Seite ihre Fehleinschätzungen aufarbeiten möchte. Nicht die Linken, deren zukünftige Fraktionschefs Bartsch und Wagenknecht in einem peinlichen Positionspapier die USA wegen ihres Irakkrieges für die Flüchtlinge verantwortlich machen – als sei der Aufstand gegen Assad eine Folge von Bushs Invasion im Nachbarland gewesen.

Und auf der anderen Seite die de Maizières, die 2012 ein militärisches Eingreifen ablehnten, weil sie eine Verschlimmerung des Konflikts fürchteten. Heute stehen sie einem Worst-Case-Szenario gegenüber, dass ihre schlimmsten Albträume von damals übertroffen hat.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise ein entschiedeneres Vorgehen der Europäer im Syrienkonflikt gefordert. „Wir dürfen dem Morden nicht weiter zusehen“, sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. Europa benötige eine sicherheitspolitische Strategie, die sich nicht „von vornherein auf Diplomatie beschränkt“. Man könne die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nicht aus der Luft besiegen und sich nicht allein auf den Kampf der kurdischen Peschmerga am Boden verlassen. Europa habe in der Vergangenheit in der Außen- und Sicherheitspolitik zu wenig entschlossen gehandelt. (dpa)

Wenn der Irakkrieg der Prototyp einer falschen Intervention ist, dann ist Syrien das Paradebeispiel dafür, zu welchen Katastrophen Nicht-Eingreifen führen kann. In dieser Komplexität muss man zukünftig Konflikte debattieren.

Für Syrien selbst wird de Maizières Positionswechsel keine Konsequenzen haben. Weil er selbst keine Verantwortung mehr in der Sicherheitspolitik trägt. Und weil Russland jetzt militärisch zugunsten Assads eingreift. Auch das wäre 2012 anders gewesen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.