Kommentar über das Zögern von Polizei und Sozialbehörde: Frauen werden nicht ernst genommen

Erst als Männer die Polizei alarmierten, wurde diese im Fall eines mutmaßliche Mörders tätig. Erzieherinnen wurden zuvor nicht ernst genommen. Ein Systemversagen.

Der spätere mutmaßliche Mörder was als gewalttätig bekannt. Foto: Patrick Pleul/dpa

Ärzte und Anwälte werden ernst genommen – Erzieherinnen und Mitarbeiterinnen des Sozialamts nicht. Oder: Männer werden ernst genommen, Frauen nicht. Vielleicht ist dies die banale Erklärung dafür, warum die Polizei im vergangenen Jahr keinen Anlass sah, mit verschärften Mitteln nach einer als zuverlässig geltenden 44-jährigen Mutter zu suchen, die mehrere Tage nicht die Tür öffnete, nicht ans Telefon ging. Und nicht erklären konnte, warum plötzlich der Vater den Sohn krank meldete, obwohl dieser gar nicht bei ihm lebte.

Sowohl der Kindergarten als auch das Amt für soziale Dienste hatten befürchtet, dass der Vater seiner getrennt lebenden Frau etwas angetan hatte – aber aktiv wurde die Polizei erst, als ein Anwalt und ein Kinderarzt diese Befürchtungen bestätigten. So jedenfalls stellt es die Staatsanwaltschaft am Mittwoch dar. Deren Sprecher kann an diesem Ablauf nichts Verwerfliches finden – weil nach seiner Auffassung weder das Leben der Frau hätte gerettet werden können noch hätte die Flucht des mutmaßlichen Täters mit den Kindern aufgehalten werden können. Zumindest Ersteres stimmt. Ob aber der Vater in der Türkei nicht noch eher hätte gefunden werden können als im Irak, wo er jetzt vermutet wird – darüber kann man streiten.

Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, dass ich mich als Bürgerin darauf verlassen können muss, dass die Polizei einem Hinweis auf ein Verbrechen nachgeht. Im Zweifelsfall auch lieber einmal zu viel als zu wenig. Und Hinweise hat es in diesem Fall reichlich gegeben, nicht nur von einer Seite, und nicht nur einmal. Zudem war der Vater der Polizei als gewalttätig bekannt.

Aber nicht nur die Polizei, auch das Amt für soziale Dienste hat Fehler begangen. Es muss sich fragen lassen, warum es sich mit der Einschätzung der Polizei zufrieden gegeben hat, es könne sich auch um ein ganz normales Vorgehen handeln, ein unangekündigter Verwandtenbesuch beispielsweise. Warum hat die Mitarbeiterin nicht insistiert? Und warum hat sie offenbar einen Tag abgewartet, bis sie den Kontaktbereichspolizisten am Telefon hatte? Warum hat sie nicht den Notruf alarmiert? Hat sie überhaupt Alarm geschlagen? Oder ihre „fachlichen Bedenken“ zu vorsichtig geäußert? Der Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann sagt, es sei nicht zielführend, jetzt individuelle Schuldige zu suchen.

Das Beunruhigende ist, dass es tatsächlich nicht um das Versagen eines Einzelnen geht. Dazu sind zu viele Stellen involviert.

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