Kommentar zu Sigmar Gabriels neuem Job: Kein plumper Lobbyismus

Früher war Sigmar Gabriel Di­plo­mat für Deutschland, jetzt ist er es für Siemens. Das mag im Bahngeschäft harmlos sein – wenn es transparent ist.

Sigmar Gabriel ist von hinten zu sehen, er steht im Scheinwerferlicht und hebtr die rechte Hand

Im Rampenlicht zu stehen bedeutet noch keine Transparenz Foto: dpa

Sigmar Gabriel hat noch nie einen Betrieb geführt, sondern war unter anderem Ministerpräsident in Niedersachsen, Pop-Beauftragter der SPD, Umwelt-, Wirtschafts- und Außenminister. Trotzdem wechselt der Politiker jetzt plötzlich in die Welt der Unternehmen. Im nächsten Jahr soll Gabriel in den Verwaltungsrat von Siemens Alstom einziehen.

Gabriels neue Firma gibt es noch nicht; Siemens Alstom soll erst durch Fusion entstehen. Aber der Verwaltungsrat ist schon nominiert – und besteht nur aus hochrangigen Fachleuten der beiden Unternehmen. Mit einer Ausnahme: Gabriel. Er wird der bunte Hund unter den Wirtschaftsexperten sein.

Der Argwohn liegt also nahe, dass es sich um plumpen Lobbyismus handelt. Aber so einfach ist es nicht. Stattdessen macht Gabriels neue Kar­riere in der Zugbranche deutlich, dass die Belieferung von Eisenbahnen schon immer ein hochpolitisches Geschäft war. Denn in vielen Ländern ist die Eisenbahn sowieso staatlich – und wo sie komplett privatisiert wurde, wie etwa in Großbritannien, hat man damit so schlechte Erfahrungen gemacht, dass auch dort der Staat wieder eingreift.

Doch nicht nur der Betrieb der Bahn, auch ihre Investitionen sind hochpolitisch. Schließlich handelt es sich stets um Großaufträge, die viele Arbeitsplätze sichern. Also liegt es nahe, am liebsten heimische Unternehmen zu bedenken. Es ist kein Zufall, dass die Deutsche Bahn den ICE von Siemens ordert und die Franzosen den TGV von der französischen Alstom bevorzugen.

Früher Di­plo­mat für Deutschland, jetzt für Siemens

Die Heimatmärkte sind also verteilt. Interessant sind für Siemens und Alstom vor allem jene Länder, die zwar Bahnstrecken, aber keine eigenen Zugbauer haben. Doch dort herrscht knallharte Konkurrenz mit anderen Bahnzulieferern, wie etwa dem chinesischen Großkonzern CRRC. Offenbar glaubt Siemens, dass Gabriel in diesem Tauziehen ein Gewinn sein könnte. Denn als langjähriger Minister kennt er viele der Kollegen, die im Ausland über Bahninvestitionen entscheiden.

Gabriel bleibt sich also treu: Früher war er Di­plo­mat für Deutschland, jetzt ist er es für Siemens.

Das mag im Falle von Bahnlieferanten harmlos sein. Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl, wenn Politiker ihre Kontakte und ihr (geheimes) Wissen privaten Unternehmen zur Verfügung stellen. Daher hat Lobbycontrol recht: Es muss absolute Transparenz darüber herrschen, wo einstige und aktive Politiker anheuern. Vor allem bei den Abgeordneten wüsste man gern mehr über ihre Nebentätigkeiten.

Es muss im Detail klar sein, welche Jobs sie wahrnehmen – und wie viel sie verdienen. Davon ist Deutschland noch weit entfernt.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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