Kommunalwahl in Brandenburg: „Wutstil kommt in die Parlamente“

Die AfD holte 15,9 Prozent. Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum rechnet aber nicht mit konstruktiver Oppositionsarbeit.

Ein nationalistischer Protestzug in Brandenburg. Ein Mann mit Deutschland-Fahne trägt ein AfD-T-Shirt

Auf dem Weg in den Kreistag: aggressive und nationalistische Proteste der AfD Foto: Stefan Boness/lpon

taz: Herr Botsch, Sie haben in einer empirischen Untersuchung die AfD-Programme zur Kommunalwahl sehr genau ausgewertet und sich das ­Personal angeschaut. Wer kommt da jetzt in die Kreistage und Stadtverordnetenversammlungen?

Gideon Botsch: Ganz eindeutig ein Typus von Personen, die den Wutstil in die Parlamente tragen. Mit konstruktiver Oppositionsarbeit oder Beteiligungspolitik ist kaum zu rechnen. Unter den rechten Kandidaten sind auffallend viele Personen mit rechtsextremer Vorgeschichte. Teilnehmer und auch Organisatoren flüchtlingsfeindlicher Protestaktivitäten sind darunter und viele Menschen, die einen sehr rauen, durch Hass-Posts vermittelnden Stil der Ansprache wählen. Und es sind fast überwiegend Männer – mit 52 bis 53 Jahren älter als der Landesschnitt.

Welche Berufe sind vertreten?

Es gibt eine sehr deutliche Dominanz des unteren gewerblichen Mittelstands: Handwerker, Menschen in technischen Berufen und überdurchschnittlich viele abhängig Beschäftigte. Nun könnte man eigentlich sagen, dass die Repräsentanz erfreulich sei, aber ich gehe davon aus, dass es keine richtige Interessenvertretung geben wird – allenfalls klientelistisch.

Die AfD hat mit 15,9 Prozent ein um 12 Prozentpunkte stärkeres Ergebnis als bei der letzten Kommunalwahl 2014 eingefahren. Die AfD ist nun in den Lokalparlamenten angekommen.

„Unter den rechten Kandidaten sind auffallend viele Personen mit rechtsextremer Vorgeschichte“

2014 ist als Vergleichsebene schwierig: Die AfD war damals nicht unbedingt rechtsextrem. Wer hingegen heute die AfD wählt, kann wissen, dass sie es ist. 2014 gab es zudem bei Weitem nicht so viele Kandidaturen. Die AfD ist diesmal flächig angetreten und nun auf allen Ebenen repräsentativer Vertretung mit Mandatsträgern präsent. Die werden viele Posten besetzen. Ich schätze, dass ein Drittel wenig Interesse an parlamentarischer Alltagsarbeit haben wird, ein Drittel wird sich einarbeiten – da wird viel Ideologie eine Rolle spielen – und das letzte Drittel wird Störmanöver machen in Feindschaft zu den sogenannten Altparteien mit Geschäftsordnungstricks und Ähnlichem. Das wird keinen Spaß machen oder konstruktiv sein. Was es letztlich für das Funktionieren von Demokratie auf lokaler Ebene bedeutet, weiß ich jetzt noch nicht.

Was bedeutet die kommunale Verankerung der AfD in Brandenburg?

Wir hatten nicht den Eindruck, dass die AfD-Kandidaten besonders verankert sind. Sie sind eben keine Säulen der Gesellschaft und in der Regel keine Vorsitzenden im Sportverein, Kirchenkreis oder der Feuerwehr. Es ist nicht pauschalisierbar, aber zumeist kommen die AfDler nicht aus der aktiven Bürgerschaft. In den Programmen wurde immer der Kontrapunkt gesucht: in Spannung zur pluralistischen Verfassung und natürlich zu den Menschenrechten.

Gideon Botsch48, ist Politikwissenschaftler und forscht und lehrt unter anderem zu Rechtsextremismus am Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum.

Ihre empirische Untersuchung überschrieben Sie noch mit „Die Bürgerwut im Kreistag?“ Kann man hinter die Bürgerwut nun ein Ausrufezeichen setzen?

Ja. Ich bin aber von den im Schnitt 16 Prozent in Brandenburg nicht erschreckt. Es hätte auch noch schlimmer kommen können …

… bei der gleichzeitig stattfindenden Europawahl ist die AfD mit 19,9 Prozent sogar stärkste Partei in Brandenburg. Wie erklären Sie die Differenz?

Kommunalpolitik zu erklären ist immer riskant. Vielleicht hängt es mit dem persönlichen Nimbus von Personen oder der spezifischen und persönlichen Bindung zusammen. Optimistisch formuliert: Wenn es um was geht, ob der Bus fährt oder die Schule saniert wird, da will man diese Leute wohl doch nicht wählen – weil sie eben keinen verlässlichen Eindruck machen. Nehmen Sie nur mal Frankfurt an der Oder. Die AfD hat dort fatal hohe Werte bei der Europawahl, aber trotzdem eine außerordentlich starke Linke in der Kommunalwahl, weil der Oberbürgermeister viel Vertrauen genießt.

Kreistage und Stadtverordnete entscheiden über Sozial- und Kulturpolitik, Stadt- und Bauentwicklung, lokale Gedenk- und Geschichtspolitik, Kitas, Jugendförderung, Schulpolitik und Integration. Inwiefern wird sich die Alltagskultur in Kommunen und Ländern nun ändern?

Die Alltagskultur hat sich ohnehin schon sehr geändert. Die Spaltung und Anfeindungen innerhalb der Gesellschaft sind enorm. Allein schon die AfD-Kampagne Wahlbeobachtung insinuiert, dass groß betrogen wird, und denunziert damit Leute, die seit Jahren bei der Demokratie mitwirken. Das sind bittere Verdächtigungen. So einen Stil werden sie jetzt in allen Parlamenten haben: Misstrauen, Feindseligkeiten, Belagerungen. Mit der AfD wird es sicher nicht leichter werden, Demokratie auf kommunaler Ebene zu machen. Das ist bedauerlich.

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