Konferenz zur Jugendarbeitslosigkeit: Ganz plötzlich ein Thema

Die EU will bis zu 24 Milliarden Euro für Europas arbeitslose Jugendliche bereitstellen. Das eigentliche Problem geht dabei unter.

Wir haben so tolle Ideen für Euch: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen auf der Konferenz über Jugendarbeitslosigkeit. Bild: dpa

BERLIN taz | Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Wenige Monate vor der Bundestagswahl ist Berlin am Mittwoch Schauplatz eines deutsch-europäischen Konferenzspektakels. Auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) beraten die europäischen Staats- und Regierungschefs gemeinsam mit den Arbeitsministern und Chefs der Arbeitsagenturen der 27 EU-Länder darüber, was sie der wachsenden Jugendarbeitslosigkeit entgegensetzen können.

Die Zahlen sind alarmierend: Im EU-Durchschnitt lag die offizielle Arbeitslosenquote für unter 25-Jährige im April laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat bei 23,5 Prozent. Hinter dieser Ziffern stecken rund 5,6 Millionen Jugendliche, die keine Stelle haben.

Allerdings existieren zwischen den einzelnen Ländern gewaltige Unterschiede. Während Deutschland und Österreich mit 7,5 bzw. 8 Prozent offiziell die niedrigste Jugendarbeitslosenquote vorweisen können, liegt diese in Griechenland bei über 62, in Spanien bei über 56 und in Portugal und Italien jeweils über 40 Prozent.

Die europäischen Antworten darauf sind in weiten Teilen schon bekannt, bevor die Konferenz am heutigen Mittwoch am späten Nachmittag zu Ende geht. Die Staats- und Regierungschefs sowie die Arbeitsamtsleiter wollen sich vor allem über erfolgreiche Konzepte zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit austauschen. Bis Ende 2015 sollen bis zu 24 Milliarden Euro aus EU-Töpfen für Sofortmaßnahmen bereit gestellt werden.

Das Geld soll zum einen dafür dienen, kleinere und mittlere Unternehmen mit günstigen Krediten zu fördern, wenn diese junge Menschen einstellen. Bereits im Februar hatten die EU-Arbeitsminister zudem eine – unverbindliche – „Jugendgarantie“ beschlossen, in die sechs Milliarden Euro fließen könnten: Unter-25-Jährige sollen spätestens vier Monate nach dem Ende ihrer Ausbildung oder dem Beginn der Arbeitslosigkeit eine neue Stelle, einen Ausbildungsplatz oder ein Praktikum angeboten bekommen.

Exportschlager duale Ausbildung

Gedacht ist zudem daran, das Studentenaustauschprogramm Erasmus auch für Lehrlinge zu öffnen und Konzepte wie die duale Ausbildung, die in Europa nur in Deutschland, der Schweiz und Österreich existiert, zu exportieren. Spanien, Portugal, Griechenland, Italien, die Slowakei und Lettland haben bereits ihr Interesse bekundet und lassen sich von der deutschen Regierung beraten. Die wiederum versucht derweil, mit subventionierten Programmen ausbildungswillige Jugendliche aus Krisenländern nach Deutschland zu locken.

Der Export der dualen Ausbildung ist wohl die einzige Maßnahme, die die meisten Experten und Politiker vorbehaltlos begrüßen dürften. Denn das System, also das parallele Erlernen eines Berufs in einem Betrieb und einer Berufsschule, gilt als besonders praxisnah und stellt den direkten Kontakt zum späteren Arbeitgeber her.

In Frankreich, wo die Jugendarbeitslosigkeit derzeit bei über 26 Prozent liegt, ist das Berufsbildungssystem hingegen rein schulisch strukturiert. „Seine Zertifikate haben bei den Arbeitgebern keinen allzu guten Ruf“, sagt die Soziologin Ingrid Artus von der Universität Erlangen. Eine Berufsausbildung werde zudem in erster Linie von SchülerInnen gemacht, die aus dem "normalen" Schulleben wegen schlechter Leistungen aussortiert worden seien. „Ein Berufsabschluss ist tendenziell also ein Zertifikat für schlechte Schulleistungen“, beschreibt Artus das Problem des französischen Ausbildungssystems.

Kritik an der Sparpolitik

Ekkehard Ernst von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO kritisiert jedoch, wie auch die deutschen Gewerkschaften und Oppositionsparteien, den beschränkten Blick, den die EU auf das Problem Jugendarbeitslosigkeit wirft. „Sofortmaßnahmen sind immer zu begrüßen“, so Ernst. „Doch so lange die bestehende Sparpolitik fortgeführt wird, wird sich der Arbeitsmarkt nicht erholen. Je mehr auf die Bremse getreten wird, desto mehr Arbeitsplätze gehen verloren und desto schneller fallen öffentliche Einnahmen und steigen öffentliche Ausgaben etwa in der Arbeitslosenversicherung.“

In der Tat wiesen zwar etliche Krisenländern bereits vor der Krise eine deutlich höhere Quote an arbeitslosen Jugendlichen auf als Deutschland. Doch so richtig explodiert ist das Problem seit Beginn der Wirtschaftskrise und seitdem die Regierungen Subventionen und Fördermittel streichen sowie Stellen im öffentlichen Dienst abbauen. „Das ist ein regelrechter Teufelskreis“, sagt Ernst.

In Spanien beispielsweise gingen allein zwischen 2008 und 2012 drei Millionen Arbeitsplätze verloren. Zweidrittel davon waren mit Menschen unter 30 Jahren besetzt. Vor allem im Bau, aber auch im Einzelhandel und in der verarbeitenden Industrie schwanden die Jobs. Auch in Griechenland haben die scharfe Rezession sowie die Sparvorgaben der Troika Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichtet.

„Wir müssen dieses Krisenmanagement ändern“, forderte am Mittwoch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Merkel setze zu einseitig auf Sparen und Haushaltskonsolidierung, so der SPD-Politiker. „Die falschen Kürzungsprogramme der EU würgen die Wirtschaft ab, anstatt den Ländern auf die Beine zu helfen. Europa braucht vielmehr ein Zukunfts- und Investitionsprogramm in Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur“, sagte auch DGB-Chef Michael Sommer.

Angela Merkel machte am Mittwoch in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung klar, dass sie die Probleme woanders sieht: „So ist es etwa nicht klug, wenn das Arbeitsrecht in manchen Ländern nur für junge Leute flexibilisiert ist, nicht aber für Ältere, die schon lange Arbeit haben“, sagte die Kanzlerin. Auch die EU-Kommission beschwört in ihrem Appell zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vom Juni: „Europa braucht dringende Strukturreformen, um wettbewerbsfähiger zu werden.“

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