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Konstruktive Narrative schaffen Migrations­fragen nicht den Rechten überlassen

Im Juni wird in der EU gewählt. Die taz Panter Stiftung vernetzt Jour­na­lis­ten aus dem Mittelmeerraum.

Grausame Gleichgültigkeit gegenüber Geflüchteten und Mi­gran­t:in­nen im Mittelmeer, in Europa Foto: Yorgos Konstantinou

Die Europäische Union (EU) wählt von 6. bis 9. Juni. Es ist eine entscheidende Wahl für die Zukunft Europas, und die Migrationspolitik spielt bei dieser Wahl eine zentrale Rolle. Nicht nur die rechten Parteien setzen in ihrem Wahlkampf auf das Thema, auch bei den Medien ist die Versuchung groß,mit Angstbildern- und Überfremdungsrhetorik auf dem hart umkämpften Aufmerksamkeitsmarkt zu punkten. Um Lösungen zu finden, brauchen wir aber gerade jetzt eine diverse und konstruktive Berichterstattung.

Um einen Anfang zu machen und diesem Trend etwas entgegen zu setzen, laden wir eine Woche vor der Europawahl, vom 28. bis zum 31. Mai, sechs Journa­lis­t:innen und Fachredakteur:in­nen zu einer Tagung nach Berlin ein, die den Schwerpunkt Flucht, Vertreibung und Migration haben. Zwei von ihnen werden auf dieser Seite vorgestellt. Wir wollen gemeinsam diskutieren: Wie hat sich die Migrationspolitik in Spanien und Italien entwickelt? Vor welchen Herausforderungen und Strategien zur Bewältigung der Migration steht Griechenland? Wie kooperieren Marokko und Tunesien mit der EU? Was erhoffen sich Flüchtlinge im Libanon? Und was bedeutet all das für Deutschland? Bereits seit April sind sie vernetzt und produzieren zusammen eine Podcastreihe.

Migrationsfragen dürfen wir nicht den Rechten überlassen! Migration und Flucht gehören zur Geschichte der Menschheit. Und der Schutz vor Abschiebung ist ein Menschenrecht, das unter anderem in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt ist. Wir wollen mit unserem EU-Migrationsprojekt eine Basis für eine konstruktive Debatte schaffen. Ein Teil des Workshops ist bereits finanziert. Auf weitere Spenden sind wir angewiesen. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns mit einem kleinen Beitrag unterstützen.

Tigran Petroysan und Lisa Schneider, Leiter:innnen des EU-Migrationsprojekts

EU-Migrationsprojekt

Unsere Teilnehmer:innen:

Journalist:innen mit dem Schwerpunkt Migration und Flucht vernetzen sich seit April und sind später zu Gast in Berlin: Stavros Malichudis, Chefredakteur von Solomon, Griechenland; Hiba Chaker, Journalistin bei Maroc Hebdo, Marokko; Alessia Manzi, freie Autorin bei la Repubblica, Italien; Ghadir Hamadi, L’Orient Today, Libanon; Mirco Keilberth, taz-Korrespondent, Tunesien; Agus Morales, Chefredakteur von Revista 5W, Spanien.

Veranstaltung am 29. Mai mit unseren Gästen:

Die Ergebnisse werden in einer Podcast-Reihe veröffentlicht, die sowohl auf taz.de als auch auf der Stiftungsseite zu finden sein wird. Ende Mai laden wir Sie herzlich zu einer Podiumsdiskussion in die taz ein. Kommen Sie zahlreich, denn Migration und Flucht betreffen uns alle.

Kein Land hat mehr Geflüchtete aufgenommen als der Libanon. Warum bekommen Migranten unterschiedliche Chancen?

Ghadir Hamadi ist Teilnehmerin des EU-Migration Projekts der taz Panter Stiftung Foto: privat

Als Li­ba­ne­s:in­nen blicken wir auf eine lange Geschichte von Kriegen und wirtschaftlicher Instabilität in unserem Land zurück. Migration in und aus dem Libanon ist deshalb ein geteiltes Schicksal vieler Generationen dieser Region. Es leben mittlerweile mehr Li­ba­ne­s:in­nen in der Diaspora als im Libanon selbst.

Kein Land hat mehr Geflüchtete aufgenommen als der Libanon – etwa 1,5 Millionen Sy­re­r:in­nen und über 11.000 Menschen anderer Nationalitäten. Und das bei gerade einmal 4 Millionen Einwohnern. Im Libanon fordern immer mehr Stimmen die Rückführung der syrischen Geflüchteten in ihr Heimatland.

Für viele würde dies jedoch die Verletzung ihrer Menschenrechte bedeuten, zumal die Situation lebensbedrohlich wäre.Schaut man nach Europa, wird eines klar: Viele Migrationsgesetze sind unfair. Als beispielsweise ukrainische Geflüchtete aufgenommen wurden, erkannte man ihre Abschlüsse an, wodurch die Integration in den Arbeitsmarkt weniger kompliziert war – ein großer Startvorteil, der anderen verwehrt wurde.

Berichte über diese Ungleichheiten sind wichtig. Sollten nicht alle Mi­gran­t:in­nen und Geflüchtete dieselben Chancen haben? Für uns ist das eine emotionale Frage. Wir wissen ja nie, ob es uns eines Tages selbst betrifft.

Ghadir Hamadi, libanesische Journalistin für L’Orient Today

Spaniens Rückführung von Geflüchteten nach Marokko löste keine öffentliche Aufregung aus

Agus Morales wird die spanische Perspektive ins EU-Migrationsprojekt einbringen Foto: Anna Surinyach

Mitte Mai 2021 marschierten etwa 8.000 Menschen gegen die Passivität der marokkanischen Streitkräfte nach Ceuta, einer spanischen Stadt an der nordafrikanischen Küste. Sie wurden von Marokko als politisches Druckmittel eingesetzt, um von Spanien die Anerkennung des marokkanischen Standpunkts zum jahrzehntelangen Streit über den Status der Westsahara zu fordern. Bald wurde dies als „Migrationskrise“ bezeichnet, doch es war eine diplomatische Krise.

Spanien schickte dann diese Menschen systematisch nach Marokko zurück. Die Rückführung wurde im Fernsehen übertragen, löste aber keine öffentliche Aufregung aus. Wichtig war der Streit mit Marokko, die Rhetorik über die nationale Souveränität und Sicherheit der Grenzen (nicht der Menschen, die dort sterben), über die „Bedrohung durch Einwanderung“.

Mehrere Begriffe werden mit Migration assoziiert und tragen zur Entmenschlichung bei, versuchen, eine existenzielle Angst zu erzeugen. Die Botschaft ist, dass Migration ein geostrategisches Problem ist und nicht ein natürlicher, menschlicher Prozess. In diesem Kontext gelten dann Menschenrechte als aufgehoben. All dies ist ohne die Externalisierung der Grenzen nicht zu verstehen. Länder wie Marokko legen eigene Interessen auf den Tisch und Geflüchtete werden zu Waffen.

Agus Morales, Chefredakteur der spanischen Revista 5W