Konzertempfehlung für Berlin: Streik Is Not Dead!

Eine Gruppe Berliner Bühnenarbeiter*innen will ab heute mit einer Konzertreihe zu Arbeitskämpfen den Punk zurück an die Volksbühne bringen.

Britischer Bergarbeiterstreik 1984/1985 Foto: By Nick from Bristol / CC BY 2.0, Wikimedia Commons

Am Anfang war ein Dartturnier, erinnert sich Paul Flagmeier, einer von fünf Bühnenarbeitern der Berliner Volksbühne, die heute an ihrem Haus eine neue Konzertreihe einleiten: „Vergessene Arbeitskämpfe – Ein Punkabend“. Drei sollen es insgesamt unter diesem Titel werden; dass die Initialzündung dazu von einem Präzisionssport kam, der wahrscheinlich aus den nordenglischen Pubs des späten 19. Jahrhunderts stammt, passt schon mal.

Flagmeier und Kollegen anderer Berliner Theater hatten sich im vorigen Jahr am Ende der Spielzeit zu einer abendlichen Meisterschaft getroffen, dabei ausgiebig zeitlosen Punk gehört – „Musik, die wir lieben“, sagt er – und im Juni mit der Arbeit begonnen.

In ihrer Freizeit, das war die Bedingung der Intendanz, die sie ansonsten schnell von ihrem Vorhaben überzeugen konnten. „Die Resonanz hat uns selbst überrascht“, meint Flagmeier, die Idee sprach sich herum, und irgendwann waren aus den fünf Leuten 14 geworden.

Den musikalischen Teil des Eröffnungsabends werden zwei Berliner Bands bestreiten: Da sind einmal ­Hyäne, ein Trio, das auf seiner Debütsingle im Titel „Stillstand“ sagt, worum es in Punk eben nicht geht und was Flagmeier und seine Mitstreiter nicht wollen: „In Geiselhaft der Bequemlichkeit / Man beklagt sich gern wenn wieder nichts passiert / Komfortzonenaufstand, radikal auf der Jacke / Die Hülle verrät, was du gerne wärst.“

Der Punk muss zurück an die Volksbühne, Kämpfe von Arbeiter*innen zurück an ein Arbeitertheater. Fünf Bühnenarbeiter der Volksbühne, unterstützt von zahlreichen Kolleg*innen des Hauses, veranstalten nun eine neue Punk-Konzertreihe, die jeden zweiten Monat mit je zwei Bands und einem DJ einen vergangenen oder gegenwärtigen Arbeitskampf thematisieren. Am ersten Abend mit den Berliner Bands Hyäne und Imbiß sowie DJ Schnürmeister Kåks.

Vergessene Arbeitskämpfe – Ein Punkabend: Die tapferen Kämpfe in der „Unterirdischen“, Roter Salon, Rosa-Luxemburg-Platz, 14. 2., 22 Uhr, 8 €

Ein anderer Hyäne-Song heißt „Sortiermaschine“, und da wird tatsächlich aus einem Begriff aus der Arbeitswelt eine politische Metapher. Der Sound dazu ist der einer düster wütenden Dampfmaschine. Ihr Albumdebüt haben Hyäne im vorigen Sommer herausgebracht, „Demontage und Zerfall“, auch so ein Titel, der Industrielles und Soziales gleichermaßen auf den Tisch bringt. Die Musik dazu fällt deutlich diffiziler aus.

Ebenfalls heute Abend zu hören sein werden Imbiß, ein Powerpop-Punktrio aus Neukölln. Davor, danach und zum Geleit gibt es Schallplattenunterhaltung mit Schnürmeister Kåks, klassischen Schmutz der Jahre 1976 bis 1984. Ein ganz normales Punkkonzert soll es dann doch nicht werden, aber was war und ist schon normal an Punk?

Zu der Arbeitsgruppe „Punk und Arbeitskämpfe“ gehören mittlerweile auch die Volksbühnendramaturgin Sabine Zielke und die Schriftstellerin Anna Tüne. Im Zuge eines jeden Konzerts wird eines Streik gedacht werden, die Redaktion dafür hat Tüne übernommen.

An den Anfang hat sie eine jüngere, sehr aktuelle Auseinandersetzung aus Frankreich gesetzt: die Proteste gegen die Werksschließung des Automobilzulieferers GM&S in der zentralfranzösischen Kleinstadt La Souterraine, deutsch „Die Unterirdische“.

In den siebziger Jahren hatten dort zeitweise 600 Menschen für die Konzerne PSA (u. a. Citroën und Peugeot) und Renault geschraubt, jetzt sind es gerade mal noch 140. Dazwischen liegen die Ausschlachtung des Werks durch wechselnde Besitzer seit den frühen Neunzigern und dagegen immer wieder Streiks der Belegschaft.

Im Mai 2017 schließlich zerflexten die Streikenden vor dem blockierten Werktor, vor Kameras und Mikrophonen eine gigantische Maschine nach der anderen, ließen die Geräte buchstäblich in Feuer zergehen. Dass es sich dabei um bereits ausgemusterte, schrottreife handelte, musste in diesem Moment erst mal niemand erfahren.

Ihren Produktionsmitteln wären die Leute aus der Unterirdischen, keine Maschinenstürmer, nie so zu Leibe gerückt; dafür haben sie mit ihrer Aktion gezeigt, welche Wertvernichtung seit Jahren politisch gebilligt und gefördert wurde.

Einen Monat darauf kam es im Werksumfeld zu Straßen- und Behördenblockaden; Bilder, ähnlich den Protesten der Gelbwesten, die den GM&S-Kollegen wieder Mut gemacht haben. Mut, der sie fast schon verlassen wollte, wie Tüne bemerkt.

„Es geht um Mut und Wut“, sagt Paul Flagmeier, auch in dem zweiten, weniger prominenten Arbeitskampf, der zur nächsten Veranstaltung auf dem Programm steht: dem Textilarbeiterinnenstreik von San Antonio, einem Ausstand, der von 1959 bis 1963 die texanische Metropole in Atem hielt. „Eine wenig damenhafte Angelegenheit, aber bestens angezogen“ (PDF), diesen Titel hat die Wissenschaftlerin Lori A. Flores von der Stanford University ihrer diesbezüglichen Arbeit gegeben.

Das Besondere für Flores daran ist, dass es sich hier nicht nur um den ersten von einer mexikanisch-US-amerikanischen Aktivistin geführten Streik gehandelt habe, sondern um den ersten, bei dem Mexikanerinnen und Angloamerikanerinnen gemeinsam Posten bezogen. „Unglaubliche Geschichten“, meint Paul Flagmeier. Und fügt an: „Wir schreiben uns nicht auf die Fahne, die Welt erklären zu wollen.“

Den Abschluss der Reihe wird der britische Bergarbeiterstreik von 1984/85 bilden. Punksozialisierten sollte er bekannt sein, denn es waren auch Bands und Musiker, die sich dort solidarisch zeigten. So die Anarchopunks von Crass oder die isländische Band Kukl mit einer jungen Sängerin, ihr Name: Björk; beide sind für die Bergleute aufgetreten.

Auch nicht lumpen ließen sich Test Department, die Einstürzenden Neubauten Londons, nur dezidiert politischer und kollektivistischer als ihre Berliner Kollegen. Test Department haben damals mit dem South Wales Striking Miners Choir das Album „Shoulder to Shoulder“ aufgenommen und schickten zwei weitere zum Thema hinterher.

Wer mag, kann darin schon eine Trilogie sehen. Oder die Folkpunks um The Mekons aus Leeds, die mit „Fear and Whiskey“ ein vom Streik beeinflusstes Album veröffentlichten. Sowohl von ihnen als auch von Test Department stehen im Frühjahr neue Platten an. Das muss kein Zufall sein.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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