Kooperation Medien und NGOs: Im Sinne der Aufklärung

Ein journalistischer Grundsatz lautet: Medien sollen sich nicht mit einer Sache gemeinmachen. Redaktionen profitieren dennoch von NGO-Arbeit.

In einem Glaskasten mit der Aufschrift TTIP-Leseraum sitzen Menschen an Einzeltischen und blättern in Dokumenten.

Offenlegung am Brandenburger Tor: von Greenpeace geleakte TTIP-Dokumente für alle einsehbar Foto: dpa

Bei zwei Enthüllungen der vergangenen Wochen spielen zwei Mal Verbände für die journalistische Berichterstattung eine entscheidende Rolle: „Tagesschau“ und Süddeutsche Zeitung machen mit einem Einblick in die geheimen TTIP-Protokolle auf – zugespielt hatte sie ihnen die Umweltorganisation Greenpeace. Das Magazin Spiegel wiederum zweifelt zusammen mit dem TV-Magazin „Monitor“ an den Abgaswerten von Opel-Fahrzeugen, unterfüttert mit Testergebnissen – eine gemeinsame Recherche mit der Deutschen Umwelthilfe. NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, machen scheinbar gemeinsame Sache mit JournalistInnen.

„Unser Ziel war es natürlich, dass das Thema möglichst breit einschlägt“, sagt Manfred Redelfs. Er war einst selbst klassischer Journalist und leitet heute die Recherche-Einheit von Greenpeace Deutschland. Die Organisation war über ihre Kanäle an die begehrten Unterlagen zu den Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, kurz TTIP, gekommen. Heiße Ware also, auch für JournalistInnen.

Natürlich hätte Greenpeace die Unterlagen auch einfach selbst veröffentlichen können, die Kraft der sozialen Netzwerke hätte schon dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit hinsieht. „Wir wollten aber nicht, dass jemand die Authentizität der Dokumente anzweifelt – das wäre bei einem Alleingang als NGO vermutlich passiert“, erklärt Redelfs. „Da hilft es, wenn Redaktionen, die einen Vertrauensvorschuss genießen, das Material vorab einsehen können.“

Gemeinsame Sache

Darauf legt Redelfs Wert: Abgesehen von einem abgestimmten Veröffentlichungstermin habe Greenpeace dem Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung keinerlei Vorgaben gemacht – der Rechercheverbund bestätigt diese Version. „Im Gegenteil“, sagt Redelfs.

„Bei der SZ hat sich mit dem Projekt ja sogar ein Journalist beschäftigt, der ein ausgewiesener Verfechter von TTIP ist – das zeigt ein Blick auf seine Kommentare.“ Von einer Kooperation wollen die Beteiligten nicht sprechen, das wäre tatsächlich auch nicht angemessen: Greenpeace und der Rechercheverbund haben nicht gemeinsam recherchiert, die Aktivisten haben den Journalisten lediglich Material zugeschoben. Weiter gingen da die Abgas-Recherchen: Hier machten das Magazin Spiegel und die ARD-Sendung „Monitor“ im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsame Sache mit der Umwelthilfe. Das ruft Kritik hervor.

„Journalisten machen sich mit Verbänden gemein, weil es angeblich der guten Sache dient. Wir sollten das lassen“, polterte der einstige Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer im Wirtschaftsmagazin Bilanz und schoss sowohl gegen die Greenpeace-Zulieferung als auch die Umwelthilfe-Unterstützung. Er mahnte, es werde „richtig gefährlich“ für die Unabhängigkeit des Journalismus, wenn Medien sich „bei ihren Recherchen mit Lobbyisten zusammentun“.

Manfred Redelfs, Greenpeace

Ich glaube, dass der Wachhund noch beißen kann

Vor allem beim Spiegel drängt sich die Frage auf: Ging das Magazin zu weit? Interview-Anfragen fruchten nicht, der Verlag antwortet nur schriftlich: Der Spiegel überprüfe und bewerte Informanten und Partner im Vorfeld sämtlicher Recherchen und gebe „die redaktionelle Verantwortung in keinem Fall aus der Hand“. Bei der Titelgeschichte „Die Diesel-Lüge“ habe die Redaktion „alle journalistischen Entscheidungen selbst getroffen“. Der Tenor: Keine Abhängigkeit von der beteiligten NGO, man behalte die Oberhand. Klar ist: Jede Quelle hat ein Interesse, ob nun InformantInnen aus Ministerien, betroffene VerbraucherInnen oder eben NGOs. Die wiederum arbeiten schon lange Medien zu, als Gegenleistung winkt Reichweite für ihre Themen. Bei der Kampagne gegen die geplante Versenkung des Öltanks „Brent Spar“ hat Greenpeace JournalistInnen vor gut 20 Jahren sogar logistisch unterstützt. Die vereinseigenen Rechercheure teilen zudem bis heute fleißig Erkenntnisse mit Redaktionen. NGOs sind dichter dran, gut vernetzt und leben Kontinuität.

Distanz ist geboten

Der Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und SZ, der einstige Chefredakteur des Spiegel, Georg Mascolo, pocht darauf, dass jede Information unabhängig überprüft werden müsse – „von wem auch immer sie kommt“. Die Zusammenarbeit mit NGOs folge dann auch „keinen besonderen Gesetzmäßigkeiten“: Geleakte Dokumente müssten „für sich betrachtet, verstanden und gewichtet werden“.

Derweil spricht einiges dafür, dass für Medien das Zusammenspiel mit NGOs immer wichtiger wird. Viele Redaktionen sind teils alarmierend geschrumpft. Kooperationen der Medien untereinander sollen helfen, als Branche stark zu bleiben. NGOs mit ihren Expertisen könnten freilich zusätzlich helfen. Die Schnittmengen sind groß: Organisationen wie Medien eint das gemeinsame Aufklärungsinteresse, also der Wille, Missstände öffentlich zu machen und für Transparenz im politischen Apparat zu sorgen.

Das Auto war mal eine große Liebe. Es versprach Freiheit, die weite Welt. Dann kam das Umweltbewusstsein und der Motor galt als böse. Und was ist heute? Das lesen Sie in der taz.am wochenende vom 11./12. Juni. Außerdem: Antoine Leiris’ Frau starb während der Terroranschläge im November im Pariser Club Bataclan. Sein Buch heißt „Meinen Hass bekommt ihr nicht“. Ein Gespräch. Und: Fußball in Zeiten des Ausnahmezustands mit fünf Seiten über die EM 2016. Dies und mehr am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Der große Unterschied: NGOs verfolgen eine eindeutige politische Agenda. Sie sind Partei und wollen Politik beeinflussen – Aktivismus statt Journalismus. Für JournalistInnen ist also trotz gemeinsamer Arbeit Distanz geboten – die berühmte Gratwanderung. Mascolo hat selbst auf einer der jüngsten Jahrestagungen des Netzwerk Recherche schon mal prognostiziert, dass NGOs für Medien wichtiger würden. Redelfs, der Leiter der Greenpeace-Rechercheeinheit und Informationsfreiheits-Vorkämpfer für das Netzwerk Recherche, glaubt auch daran. „Da ist was dran“, sagt er. Zivilgesellschaftliche Akteure bauen ihre Rechercheabteilungen aus und werden damit zu einer wichtigen Quelle für den Journalismus.“

Redelfs wünscht sich allerdings auch, dass Medien trotz der Schnittpunkte mit NGOs die Organisationen auch weiter kritisch begleiten. „Wir brauchen Journalisten, die nicht je nach Allianz in die eine oder andere Richtung berichten“, sagt der Greenpeace-Rechercheur – und bleibt zuversichtlich: „Ich glaube schon, dass der Wachhund noch beißen kann und nicht zum Schoßhund wird, nur weil man ihn ein Mal gefüttert hat.“

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