Koreanische Klassiker auf der Berlinale: Jenseits von Nord und Süd

Auf der Berlinale: die modernistisch-neorealistische Asia-Perle „Obaltan“ und das Mystery-Krimi-Epos „Choehuui jeung-in“.

Ein Mann blickt über eine trübe Stadt

Szene aus „Obaltan“ von Yu Hyun-mok: ein Blick über die trübe Stadt Foto: Universal Picture

Man kennt dieses Bild, das für Südkorea und seinen eruptiven Aktivismus steht, aus politischen Dokumentarfilmen dieses Landes: Menschenkollektive auf der Straße, die gegen soziale Ungerechtigkeit skandieren und weiße martialische Stirnbänder mit Polit-Slogans tragen. Wer diese Art Protestkultur erlebt hat (auch nur im Kino), vergisst sie so schnell nicht.

Umso verstörender ist das kurze Aufflackern einer solchen Demo in einem Spielfilm aus dem Jahr 1961, der seine sozialpolitische Schlagkraft formal gänzlich anders gewinnt, durch gestochenes Schwarz-Weiß nämlich und erzählt als ein (auf wenige Figuren konzentriertes) episches Familiendrama, inklusive verheerend konsequenter wie zäh sozialer Abstiegsspirale: ­„Obaltan“ („Aimless Bullet“) ist visuell und dramaturgisch ein Meisterwerk.

Diesen Nachkriegs-Klassiker in der Regie von Yu Hyun-mok, der zwar wegen angeblicher „Sympathien für den nordkoreanischen Feind“ lange in der Versenkung verschwunden war, doch wiederholt zum besten koreanischen Film aller Zeiten gewählt wurde und international längst als modernistisch-neorealistische Asia-Perle gefeiert wird, zeigt das Forum im Rahmen seiner Sondervorführungen – und packt mit dem großartigen Mystery-Krimi-Epos „Choehuui jeung-in“ („The Last Witness“, 1980) gleich noch die eigentliche filmhistorische Entdeckung der letzten Digitalisierungs- und Restaurierungswelle des Korean Film Archive ins Paket.

Spur des Koreakriegs

Wie sehr sich die Filmstile der frühen 60er Jahre (als sensibles Sozialdifferenzierungs-Noir) und der „Real Eighties“ (als melancholisches Lederjacken-Rot-Braun-Pastell) auch unterscheiden, so nah beisammen liegen beide Filme doch, sieht man sie als Manifestationen der Spuren (nicht zuletzt der ökonomischen), die der Koreakrieg hinterlassen hat. Wer hier ein Gewissen hat, dem droht bittere Armut.

Diese Einsicht erfasst nicht nur den nonkonformistisch-coolen Kotletten- und Trenchcoat-Träger Detective Oh (genialer als Falk aka Columbo: Hah Myung-joong), der sich auf der odysseeartigen Mörder-Suche schicksalshaft mit einem ehemaligen Kämpfer des Nordens zu identifizieren beginnt:.

„Obaltan“: 11. 2., Cinestar 8, 16.30 Uhr; „Choehuui jeung-in“: 10. 2., Kino Arsenal 1, 16 Uhr

Der 155-Minuten-Sog von „The Last Witness“ ist immer wieder von Rückblenden bis zurück zum Kriegshorror durchdrungen, wodurch Regisseur Lee Doo-yong die Provinz/en des Landes genauso wie ihre geschichtsgesättigte Zeit durchmisst. Seinen Helden schickt er tief hinein in den Schnee und Morast einer Landschaft, die zur Metapher einer Gesellschaft der Kälte und der Korruption wird.

Wer Anstand und Gewissen hat, geht im Geflecht von Misswirtschaft, Kompromiss und Kapitalismus unter. Zu dieser Erkenntnis kommt auch Cheol-ho, stiller Büroangestellter in einer von Coca-Cola-Bechern und US-Soldaten besiedelten Hauptstadt. Der Titel „Aimless Bullet“ ist ihm auf den Leib geschrieben: Geladen, aber ziellos durchstreift er das Nachkriegs-Seoul, mit höllischen Zahnschmerzen (die er aus Geldmangel nicht behandeln lässt) und stetig wachsender Mutlosigkeit und Wut (über die Unzumutbarkeit der Lebensumstände). Täglich steigt er den Hügel hinauf, zurück in sein Quartier im von Flüchtlingen aus dem Norden bewohnten Armenviertel.

Traum von der Shopping-Tour

Das wahnbesessene „Lass uns von hier weg …!“ der kriegstraumatisierten Mutter wird zum Alltags-Refrain, die Ehefrau ist hochschwanger, die Kinder träumen von einer Shopping-Tour – in der utopischen Leitmotiv-Idee eines neuen Paar Schuhe verpackt –, die Schwester prostituiert sich für die US-Boys. Bruder Yeongho wiederum, demobilisiert und arbeitslos, lehnt die Einladung eines Filmstudios ab. Angeekelt vom Zynismus der Welt läuft er Amok.

Der albtraumartige Lebens-Trip kulminiert am Ende in einem physischen Taumel, in dem besagte Stirnband-Demo wie die Fata Morgana eines besseren Morgen erscheint. Zwei Chef d’Œuvres mit politischer Sprengkraft, in jeweils nur kurzen demokratischen Interimsphasen entstanden: „Obal­tan“ vor dem Hintergrund der landesweiten Demonstrationen gegen Präsident Rhee Syng-man; „The Last Witness“ zwischen den Militärdiktaturen von Park Chung-hee und Chun Doo-hwan. An Südkorea lässt sich lernen, was Aufstand bedeutet. Auch im und als Kino.

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