Koscheres Bier aus Sachsen: Simcha heißt Freude

Ein Projekt frommer Juden und radikaler Christen, die vor Nazis geschützt werden müssen: Es braucht wohl ein paar Flaschen, um zu verstehen, wie das Simcha-Bier den Koscher-Stempel bekam.

Koscheres Bier aus der ostdeutschen Provinz - klingt bizarr? Ist aber lecker. Bild: dpa

CHEMNITZ taz Begann alles vergangenes Jahr mit dem Schweinskopf? Oder vor rund 2.500 Jahren, als ein Priester im Tempel von Jerusalem Speiseregeln festschrieb? Oder im Sommer 2006 mit dem Bierdurst eines frommen Christen nach einer Wüstenwanderung in Israel? Von allem wohl etwas. Doch eigentlich geht es in dieser Geschichte um vier Männer, die eine ziemlich verrückte Geschäftsidee hatten: in der ostdeutschen Provinz koscheres Bier zu produzieren. "Simcha", das Pils aus Hartmannsdorf nahe Chemnitz, ist nach Auskunft des Deutschen Brauer-Bundes das einzige koschere Bier Deutschlands und "erfährt ganz aktuell eine große Nachfrage". Aber was ist das überhaupt: koscher? Und kann ein Bier koscher sein?

Um das zu verstehen, empfiehlt es sich, nach Hartmannsdorf zu reisen. Im Besprechungszimmer des Brauhauses hängt an der Wand das Koscher-Zertifikat des Berliner Rabbiners Yitshak Ehrenberg. Auf Hebräisch und Englisch, versehen mit dem Stempel des Geistlichen, steht da, er bescheinige nach "strikter Kontrolle", dass das Simcha-Bier "ohne Beimischung irgendwelcher nichtkoscherer Zutaten" produziert worden sei. "So erkläre ich es als koscher parve - allerdings nicht für Pessach." Alles klar?

Ludwig Hörnlein stürmt herein. Der dynamische 46-Jährige ist geschäftsführender Gesellschafter des Brauhauses Hartmannsdorf, wo "Simcha" gebraut wird. Ihm folgt der zurückhaltende Ariel Dziuballa. Schwarz ist seine Kippa, die jüdische Kopfbedeckung, schwarz sein Anzug, unter dem der 36-Jährige einen Gebetsmantel, einen Tallit, trägt, zu erkennen an den heraushängenden Zizit, den vier geknoteten Fäden.

Leicht sächselnd fängt Ariel Dziuballa an zu erzählen: Von der Thora-Schule in Israel, die er besucht hat, von seiner derzeit laufenden Rabbiner-Ausbildung, und von dem Traum, den er neulich hatte: Da sah er sich als alter Schreiber einer Thora, der jüdischen Bibel, "dieses Gefühl von Frieden hatte ich noch nie in meinem ganzen Leben." Mittlerweile hat Rabbiner Ehrenberg den frommen Ariel Dziuballa offiziell ermächtigt, regelmäßig die koschere Simcha-Produktion in Hartmannsdorf zu überwachen - und so reißt sich Dziuballa von seinem gelehrten Gespräch, gespickt mit hebräischen Bibelzitaten, los, um seiner Pflicht nachzukommen. Zusammen mit Ludwig Hörnlein, der vor Energie und Stolz strahlt, geht es rüber ins Sudhaus.

Es ist warm hier, die beiden Männer schauen abwechselnd in die fünf heißen glänzenden Sudkessel aus Chrom-Nickel-Stahl. Ludwig Hörnlein erklärt knapp den magischen Brauprozess, der vom Maischgefäß über den Läuterbottich, das Würzesammelgefäß und die Würzekochpfanne bis zum Whirlpool führt. Ariel Dziuballa achtet derweil auf die Sauberkeit der Anlage, nickt kurz und geht die Treppe hinunter ins nüchtern-kalte Labor. Hier geht er die Quittungen der Zulieferer durch, dann studiert er im Schaltraum der Brauerei die Produktions- und Reinigungsprotokolle des Simcha-Brauprozesses. Modernste Technik trifft auf uralte, schlichte Regeln - ein seltsamer Kontrast. Ariel Dziuballa wirkt konzentriert, er mustert alles und schweigt die meiste Zeit.

In einem kleinen Lagerraum lässt der angehende Rabbiner das Malz, abgepackt in weiße Säcke, durch seine Finger gleiten. Hinter dem Labor steht ein baumgroßer, fast fertiger 30-Tonnen-Silo, der ausschließlich der Simcha-Produktion dienen soll. Die ersten 36.000 Liter sind praktisch ausverkauft.

Aber was ist denn nun koscheres Bier? Hält man sich an das deutsche Reinheitsgebot, erklärt Dziuballa, ist Bier an sich koscher, das heißt "im rechten Zustand tauglich". Allerdings nur dann, wenn die Rohprodukte, also Hopfen, Malz und Hefe, als koscher zertifiziert sind. Nichts Tierisches darf mit dem Bier in Kontakt kommen. Die koscheren Rohprodukte stammen meist aus Bayern, dort überwacht ein anderer Rabbiner den Anbau und die Ernte. Wie im Bio-Landbau dürfen weder künstliche Dünger oder gar Pflanzenschutzmittel genutzt worden sein. Und: Der Hopfen beispielsweise darf nicht zu Pessach, dem höchsten Festtag des Judentums, geerntet werden. Ariel Dziuballas Aufgabe in Hartmannsdorf ist es dann, die Koscher-Stempel der angelieferten Rohprodukte zu überwachen - und die Sauberkeit des Brauprozesses.

Er erzählt, es sei gar nicht so einfach gewesen, eine Brauerei zu finden, die modern genug sei - "ich habe schon Bleileitungen gesehen!" - und sich diese strikte Überwachung "gefallen lasse". In den Leitungen dürfe kein einziger Tropfen eines anderen Bieres sein, Simcha verlöre seinen Koscher-Stempel, würde parallel ein anderes, nichtkoscheres Bier gebraut oder abgefüllt. Konservierungsmittel sind ausgeschlossen. So gesehen klingt es nur ein bisschen arrogant, wenn Dziuballa sagt: "Ich möchte mich nicht herabwürdigen lassen mit einem Bio-Siegel." Nichts gegen Bio, fügt er hinzu, aber ein Koscher-Stempel sei doch viel besser.

Das sagt Ariel Dziuballa am Steuer seines Mittelklassewagens, eine sanfte bunte Herbstlandschaft zieht draußen vorbei. Es geht nach Chemnitz, wo er mit seinem Bruder Uwe das koschere Restaurant Schalom betreibt. Ariel hat auch ein übergeordnetes Interesse an Simcha: Ein koscheres Bier aus Sachsen, sagt er, solle auch "zeigen, dass es eine Normalität gibt" im Leben von Juden in Deutschland - mit einem Produkt, das "auch noch schmeckt". Zudem soll das Bier die Scheu gegenüber dem jüdischen Leben ein wenig zu überwinden helfen. Halb begeistert, halb irritiert erzählt Ariel Dziuballa von einem rechten Diskussionforum im Internet, wo jemand in etwa erklärte: "Wenn die Juden schon Bier trinken, können die gar nicht so schlecht sein."

Ariel Dziuballa hört häufiger Sprüche wie "Sind Sie Deutscher oder Jude?" oder "Seit wann stechen Juden keine Christenkinder mehr ab?". Noch härter sind Erfahrungen wie der Schweinskopf, der im März 2006 vor dem Restaurant lag, darauf ein Davidstern und die Aufschrift "Jude". Dazu gehört auch, dass die mit einem Davidstern geschmückte Lichtreklame des Restaurants eines Tages eingeschlagen war - und der schnell gefasste Täter seine Tat damit begründete, die Juden seien schuld am Irakkrieg. Erst recht der Spruch eines Polizisten, der laut Ariel Dziuballa sagte: "Na, wenn Sie mit einem solchen Stern Werbung machen, sind Sie selbst dran schuld."

Es geht ins Restaurant "Schalom". Überall sind Davidsterne, Menora und Fotos aus dem jüdischen Leben zu sehen - von der Klagemauer in Jerusalem bis zu einer osteuropäischen Schtetl-Schule. An einem Tisch sitzen Uwe Dziuballa, der Bruder von Ariel und Geschäftsführer des Schalom, sowie Wilfried Gotter. Gotter, geboren 1954, hatte die Idee mit dem koscheren Bier, als er 2006 nach einer Wüstenwanderung in Israel zurück ins Hotel kam und dort nur die koscheren Biere aus Israel - Maccabee und Goldstar - oder amerikanisches Bier zu trinken bekam. In wunderbarem Sächsisch erzählt er von seiner Eingebung, dass man herberes und koscheres Bier doch auch in Sachsen herstellen könne - billig und besser dazu.

Noch im gleichen Jahr überzeugte Gotter Uwe Dziuballa und Luwig Hörnlein, das Stück zu wagen. Das Interesse in Israel, wo nur Koscheres verkauft werden darf, ist groß: Wichtigen Zeitungen wie Haaretz und Yedioth Achronoth hat Gotter wegen Simcha schon Interviews gegeben. Auf einer israelischen Internetseite wurde das Für und Wider eines koscheren Biers aus Deutschland diskutiert - und für okay befunden. Gotter plant nun, von der neuen Abfüllung einen Container nach Israel zu schicken: "Zu Purim könnten wir es dort haben!"

Bei aller sächsischen Bierseligkeit gibt es aber noch einen seltsamen Seitenaspekt: Der umtriebige Gotter ist nämlich Inhaber einer evangelischen Buchhandlung in Rossau, Mitarbeiter des Evangeliums-Rundfunk (ERF) und Geschäftsführer der Sächsischen Israelfreunde, einer Vereinigung von sehr frommen, eindeutig philosemitischen Christen. Die Israelfreunde unterhalten enge Beziehungen zu "messianischen Juden" und lehnen die so genannte Judenmission nur halbherzig ab. "Messianische Juden" aber - also Juden, die an Jesus von Nazareth als ihren Messias glauben - sind ein rotes Tuch für die kleine jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Und die Judenmission, die Mission von Christen unter Juden, hat der Vorsitzende der deutschen Rabbinerkonferenz, Henry G. Brandt, als "feindlichen Akt, eine Fortsetzung des Wirkens Hitlers auf anderer Basis" bezeichnet. So denken viele Juden.

Hier kommt wieder das Bier ins Spiel: Einige Monate lang, ehe die Sache aufflog, erhielt man als Werbegeschenk beim Online-Kauf einer Simcha-Geschenkkiste entweder einen kleinen Davidstern gratis - oder ein Lesezeichen mit einem Davidstern, auf dem "Jesus" stand. Gotter betont, seine "Israelfreunde" hätten kein Interesse an der "Judenmission": "An dieser Stelle sind wir ziemlich klar." Uwe Dziuballa zufolge gab es nie auch nur den entferntesten Versuch, sie zu missionieren. Außerdem dürfe man doch "nicht immer nur das Negative" sehen. Gotter jedenfalls plant mit seinen Israelfreunden eine Antisemitismus-Tagung. Sie soll kommendes Jahr im Rahmen der jährlichen "Israelkonferenz" stattfinden, die vom Sächsischen Staatsschutz geschützt werden muss. Tagungsort: das sächsische Pirna, eine regionale Neonazi-Hochburg. Gotter ahnt: Im Vergleich zu Simcha wird das "kein Schwein interessieren".

Koscheres Bier aus der ostdeutschen Provinz, ein Projekt frommer Juden und radikaler Christen, die vor Nazis geschützt werden müssen - es braucht wohl ein paar Flaschen Bier, um das alles verstehen zu können. Übrigens: Simcha heißt Freude.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.