Krippenbauer in Neapel: Von Madonnen und Monstern

Beim Krippenspiel geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse. In Neapel erzählt jeder Krippenbauer eine eigene Weihnachtsgeschichte.

Mehrere Krippenfiguren

In einer Werkstatt auf der San Gregorio Armeno Foto: Victor Sokolowicz

Der Teufel steckt im Detail. Manchmal hockt er aber auch im Weihnachtsidyll. In den Kunstkrippen der Geschwister Scuotto wartet er zähnfletschend darauf, die Geburt des lichten Kindes zu vereiteln. Früher einmal soll der Teufel zum festen Personal der neapolitanischen Krippe gehört haben. Heute ist er verschwunden. „Wir nehmen uns die künstlerische Freiheit, ihn wieder zum Leben zu erwecken“, erklärt Salvatore Scuotto. Denn beim Krippenspiel gehe es immer um den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Tod, zwischen Dunkel und Licht. Im Laden der Scuottos stehen neben flügelschlagenden Engeln missgestaltete Freaks und andere unseelige Gestalten in der Vitrine.

Die Krippe ist ein Wahrzeichen Neapels – wie die Pizza und der Vesuv. Doch jeder Neapolitaner hat dazu eine eigene Meinung. Bei der katholischen Kirche kommen Teufel und Dämonen im Krippenspiel nicht gut an. Ebenso wenig wie die Zigeunerin mit entblößter Brust oder der Feminiello, die neapolitanische Version des Transvestiten. Diese beiden Figuren sind traditioneller Bestandteil der volkstümlichen Krippe. Ihr Ursprung liegt weniger im christlichen Heilsmythos als in jahrhundertelang überlieferten Bräuchen und Kulturen. Diese haben sich seit dem 17. Jahrhundert in den Gassen Neapels, im Schatten der unzähligen Fremdbesetzungen durch Kirche und Adelshäuser zu einem Mosaik aus Bildern und Geschichten zusammengesetzt. Das Jesuskind kam erst später dazu.

Bis heute ist das neapolitanische Krippenbild so unübersichtlich wie der vorweihnachtliche Rummel in der Vesuvstadt. Durch die Krippenstraße San Gregorio Armeno und die anliegenden Gassen des einstigen Handwerkerviertel San Lorenzo schieben sich vor Weihnachten die Menschenmassen. Der Kitsch ist König. Und natürlich auch Pulcinella, listige Kaspermaske und Wahrzeichen der Stadt, und der rote hornförmige Glücksbringer Corno – in Plastik, Glas, Metall, Plüsch, am Armband und an der Lichterkette und was einem sonst noch so einfallen könnte.

Heerscharen Krippenpersonal

Schon für einen Euro gibt es Kühlschrankmagnete in Pizzaform und Weihnachtskugeln mit Disneymotiven. Dazwischen knattern die unvermeidlichen und infernalisch stinkenden Motorini und über allem dröhnt der neomelodische Herz-Schmerz-Sound der Camorrastars. Stille Nacht, heilige Nacht gibt es hier nicht. Doch die Stimmung ist gut, auch der Caffè in jeder der unzähligen Bars. Und an allen Ecken duftet es nach süßen Sfogliatelle und frittierten Pizzette. Für die muss man oft aber Schlange stehen. Und mitunter auch darum kämpfen, dass man einen Euro Restgeld und keine Wasserflasche als Ersatz herausbekommt.

Krippenzeit Neapel ist die Hochburg italienischer Krippen. In fast allen Kirchen werden welche aufgestellt. Die größte Krippensammlung Italiens befindet sich in der Certosa San Martino oberhalb der Stadt. Am interessantesten ist es aber, den Krippenbauern in ihren Werkstätten auf die Hände zu schauen. Sie arbeiten das ganze Jahr.

Kunst und Grusel bei den Geschwistern Scuotto in der Bottega La Scarabattola: Via dei Tribunali 50, www.lascarabattola.it

Traditionelle Ton- und Holzfiguren bei den Brüdern Gambardella: Via dei Figurari 36, FB Fratelli ­Gambardella

Die kleinsten Krippen der Welt bei Aldo Caliro: Via San Biagio dei Librai 85/C, www.presepiandoenonsolo.it

Mitten im Getümmel stehen auf den Ständen aufgereiht die Heerscharen des Krippenpersonals. Das Jesuskind mit Eltern, die Heiligen Drei Könige, Madonnen mit blutendem Herzen, Esel mit und ohne Karren, Ochsen, Schäfer, Dudelsackspieler, Marktverkäuferinnen, Trinker mit Korbflaschen und Engel ohne Ende. Die billigeren sind aus Plastik made in China, die besseren aus Ton. Zu ihnen gesellen sich Fußballer, Popstars und Politiker. Die Neapolitaner haben kein Problem damit, ihr traditionelles presepe jährlich mit den angesagten Promis aufzupeppen.

Dieses Phänomen erklärte der Metallarbeiter Umberto Iannacone, der – wie viele Neapolitaner – aus Leidenschaft zum Objekt ein Krippenmacher wurde, schon in den 70er Jahren. Er hängte damals in seine Krippe ein Bild von Che Guevara. „Jede Epoche hat ihren Christus und in diesem Jahrhundert war es der Che“, so lautet seine Theorie. Heute sehen die Erlöser anders aus. Zu den Dauerbrennern gehören ­Diego Maradona, der Papst und zwei berühmte Neapolitaner: der Schauspieler Toto und der Musiker Pino Daniele. ­Silvio Berlusconi wurde nach vielen Jahren aus den Regalen geräumt und steht manchmal noch verstaubt hinterm Ladentisch. Das Highlight ist in diesem Jahr eine ganze Krippenszenerie mit den Figuren aus „Star Wars“.

In der Werkstatt Gambardella, um die Ecke in der Via dei Figurari, findet man keine Promis. Dafür Tonfiguren in allen Dimensionen. Am Arbeitstisch sitzen die Brüder Gambardella. Salvatore modelliert den Kopf einer Kundin, die ein ganz persönliches Weihnachtsgeschenk machen möchte. Ihr Foto hat er auf dem Smartphone vor sich liegen. Wie jeder echte Krippenbauer ist er ein Künstler. Sein Bruder Raffaele hält einen halbfertigen Engel in der Hand. Er ist ziemlich sauer. „Die ganze Geschichte mit den Promiköpfen ist eine PR-Masche. Mit unserem Krippenhandwerk hat das nichts zu tun“, sagt er.

Bars statt Werkstatt

Raffaele ist in der Werkstatt aufgewachsen. Die Familien beider Elternteile waren Krippenbauer. Bis vor Kurzem hatten die Gambardellas drei Geschäfte. Geblieben ist nur noch dieser eine Laden mit der Werkstatt im Hinterzimmer, wo zwei junge Helfer kleine Tonfiguren aus Gipsformen herstellen. Die Mieten haben sich in den letzten Jahren verdreifacht. „Für jeden Krippenbauer, der schließt, öffnet eine Bar oder eine Frittierstube“, erzählt er. So können sich Streetfoodketten breitmachen und die Camorra kann ihr überschüssiges Kapital investieren. Am schnellen Imbiss verdient man mehr als an einer mit Hand geformten Krippenfigur. Doch ohne sie würde es die Weihnachtsmagie, die hier alle suchen, gar nicht geben.

Früher kamen Sammler aus ganz Europa, auch viele Deutsche, in die neapolitanische Weihnachtswerkstatt. Heute beherrschen hier – wie auf jedem deutschen Christkindlmarkt – die Reisebusse das Geschäft. „Bei uns machen die Touristen Fotos und kaufen vielleicht mal ein Figürchen für zwei Euro“, schimpft Raffaele. Konkurrenz kommt auch aus dem Internet, wo inzwischen viele Heimbastler ihre Figuren anbieten. Natürlich zu günstigeren Preisen, weil sie keine Miete zahlen. Geschäfte, die ihre Krippen und Figuren nicht selbst fertigen, kaufen bei ihnen ein. Oft entdecken die Gambardellas Köpfe, die bei ihnen kopiert wurden.

Das Problem der Raubkopierer hat Aldo Caliro auf eigene Weise gelöst. Er sitzt seit 40 Jahren tagein, tagaus hinter seinem Arbeitstisch in der Via San Biagio dei Librai und friemelt an mikroskopischen Figürchen herum, die oft kleiner sind als ein Stecknadelkopf. „Das kann keiner kopieren“, sagt er. Mit Engelsgeduld und Pinzette setzt er Perlchen und Metallsplitterchen in Nüsse, Muscheln und sogar Armbanduhren. Eine davon ziert sogar den Puls des Kardinals von Neapel. Die Minikrippen aus der Caliro-Werkstatt sind berühmt in Italien. Sein kleinstes Modell hat er auf einer Linse untergebracht.

Ein universelles System

„Man braucht Fantasie für diese Arbeit“, erklärt er. Man braucht aber auch Philosophie. Aldo interpretiert die Krippe als universelles System aus Symbolen, die in allen Kulturen verstanden werden. Deshalb ist sie ein Kulturgut, findet er. Die Kunst der neapolitanischen Pizzabäcker hat es vor zwei Wochen in die Liste des Weltkulturerbes der Unesco geschafft. Die Kunst der Krippenbauer noch nicht.

Die Ladentür klingelt. Ein Kunde fragt nach einem Minimotor für das Wasserrad über der Grotte der Heiligen Familie. „Den führe ich nicht mehr“, sagt Aldo. Er koste ihn selbst 25 Euro und würde für seine Kunden am Ende viel zu teuer werden. Aber ansonsten gibt es bei ihm alles zu kaufen, was das Sammlerherz begehrt. In seiner Vitrine sieht es aus wie beim Ausstatter für Puppenhäuser. Ausgestellt sind Krönchen, Halskettchen, Tellerchen, Eimerchen und Säckchen mit Miniziegelsteinen, von denen er jeden einzelnen in seinem Ofen brennt.

Der Vergleich mit dem Puppenhaus oder dem Puppentheater ergibt durchaus Sinn. Denn die neapolitanische Krippe war von Anfang ein Spiel und kein statisches Bild. Von dem jungen Bourbonenkönig Karl III., der die Krippenkunst im Barock vorangetrieben hat, erzählt man, dass er mit den Figuren immer neue Szenen erfand. Die Figuren waren damals rund 40 Zentimeter groß, in Samt und Seide gekleidet und beweglich. Die Körper bestanden aus Stroh und Metalldraht, Köpfe, Hände und Füße aus Ton. Sie konnten auseinandergelegt und in immer neue Stellungen gebracht werden. Die Brüder und Schwestern Scuotto fertigen bis heute eigenhändig in dieser Technik. In der Werkstatt von Aldo Caliro hängen zur Anschauung Modelle in verschiedenen Größen.

Diese reich ausgeschmückte und teure Version des Krippenspiels war dem Adel und später auch der wohlhabenden Bürgerschicht vorbehalten. Das presepe stand in jedem feinen Salon Neapels und wurde zu einer Art Statussymbol, für das sich manche Familien sogar in den Ruin trieben. Die großen Sammlerfiguren waren teuer, damals wie heute. Bei den Scuottos beginnen die Preise bei 500 Euro. Die barocke Szenerie stellte einerseits Christi Geburt, andererseits das Leben und die Bräuche des Volkes dar, so wie die Adeligen sie sich vorstellten. Sakrales und Profanes gehören zur Krippe wie das Gute und das Böse. Letzteres wird traditionell durch die Völlerei in der Osteria und den Wirt dargestellt. In der Wurstkette, die er um den Hals trägt, soll Menschenfleisch verarbeitet sein. In der damals weniger verbreiteten kirchlichen Version stehen die Heiligen Drei Könige im Mittelpunkt des Geschehens.

Heidnische Bräuche

Die volkstümliche Krippe hingegen hat eine andere Tradition. Sie wird seit 20 Jahren vor allem von dem neapolitanischen Musikologen und Theaterregisseur Roberto De Simone erforscht. Seiner Meinung nach liegen die Wurzeln des Krippenspiels in vorchristlichen, heidnischen Bräuchen. Bereits in der Römerzeit gab es in den Wohnhäusern einen Schrein mit Figuren der verstorbenen Ahnen, die den Kindern zum Winterfest Süßigkeiten brachten.

Auch De Simone beschreibt die Krippe als Spiel mit Szenen die sich verändern und mit Geschichten, die erzählt werden. Es sei sogar für jeden der 12 Tage zwischen Heiligabend und Heilige Drei Könige ein bestimmtes Bild vorgesehen. Zudem verbindet er die Krippenszenen mit den Symbolen der neapolitanischen Tombola. „Sie ist eine der antikesten Weihnachtstraditionen und in ihren Bildern verlöschen die Dimensionen der Zeit, der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart“, erklärt er in einem seiner Bücher. Im Zahlensystem der Tombola steht 1 für die Sonne und 77 für den Teufel.

Für De Simone gehören Teufel und Dämonen zum traditionellen Krippenpersonal. Die Geschwister Scuotto schätzen ihn als Berater. Seine Forschungen fördern immer neue Gruselfiguren zutage, die ihre Krippenszenen mit einem Schuss Horror garnieren. Eine von ihnen ist die schaurige Mönchin Mafalda, die in einem Sack den abgetrennten Kopf ihres Geliebten trägt. „Diese Figuren werden von der Kirche nicht anerkannt“, sagt Scuotto.

Die Krippen der Scuottos erzählen aber auch Geschichten der Barmherzigkeit und der politischen Gegenwart, so wie es schon immer Tradition war in Neapel. In einer Szene ziehen Fischer Gestrandete aus dem Meer, wie es sich vor den Küsten Süditaliens täglich abspielt. „Denn“, so erklärt Salvatore, „die Krippe zeigt das große Spiel des Lebens. Und dazu gibt es mehr zu zeigen als Fußballerköpfe.“

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