Kritische Stimmen unerwünscht: „Das ist Delmenhorst“

Wir wollten eine offene Diskussionsrunde, doch die Stadtverwaltung wollte lieber die totale Kontrolle.

Jemand zuhause? Über Menschen im Wollepark spricht die Stadt nicht gern Bild: Paul Toetzke

von THILO ADAM

Im Irish Pub direkt gegenüber der Bagger, die die ersten Gebäude im Delmenhorster Wollepark abreißen, laufen die letzten Vorbereitungen für die meinland-Diskussion, als Susanne Ahrens telefonisch und unter Bedauern ihre Teilnahme absagt: „Alles Weitere müssen Sie mit der Stadt klären.“

Ahrens sollte eigentlich den von der Stadtverwaltung eingesetzten Wollepark-Sanierungsträger am Tisch vertreten, seit mehreren Wochen war sie angekündigt. Auch der Pressesprecher der Stadt, Timo Frers, wusste lange, dass die taz mit ihr plant. Vom Auftrittsverbot erfährt er allerdings erst durch unsere Nachfrage. Er wisse nicht, wer das beschlossen habe, deshalb könne er auch nicht kurzfristig nachträglich die Erlaubnis erteilen.

„Das ist Delmenhorst“, sagt eine andere Betroffene zu dem Vorfall. Susannne Ahrens war nämlich nur die letzte einer Reihe von Personen, die ihre Teilnahme an der Diskussion mit dem Hinweis auf das Einwirken der Stadt Delmenhorst absagten. Warum wurden der Veranstaltungsorganisation so viele Steine in den Weg gelegt?

Reißerische Reportagen bestimmten die Berichterstattung

Im südlichen Wollepark leben seit Frühjahr knapp 200 Menschen ohne Gas und Wasser, weil sechsstellige Nebenkostenzahlungen ausgeblieben waren. Kaputte Möbel, Plastikmüll und Elektroschrott liegen in Hauseingängen und das alles ganz nah am Stadtkern. Zwei Gebäude werden bereits abgerissen, die konnte die Stadt ersteigern. Geht es nach ihr, bleiben sie nicht die letzten. In den wasser- und gaslosen Wohnblöcken 11 und 12 sind die Eigentumsverhältnisse aber kompliziert.

Einfach Vertreter von Fachdienststellen, Jugendhäusern oder der Diakonie an einen runden Tisch einladen? Nicht in Delmenhorst.

Die miserable Wohnsituation dort erregte in den letzten Monaten überregional Aufmerksamkeit. Reißerische Reportagen über Exkremente auf den Fluren und kriminelle Machenschaften im Schatten der maroden Gebäude prägten die Berichterstattung. Dem wollte taz.meinland eine unaufgeregte Diskussion zur Zukunft des Bezirks und seiner Bewohner entgegensetzen.

Aber einfach bei den Fachdiensstellen, in Jugendhäusern oder bei der Diakonie anrufen und an einen runden Tisch einladen? Nicht in Delmenhorst. SozialarbeiterInnen in Schulen, VertreterInnen des Nachbarschaftsbüros und der AWO signalisierten zwar in ersten Telefonaten rege Gesprächsbereitschaft, überall hieß es aber auch: Da müsse man erst Vorgesetzte, wenn nicht direkt die Stadt, um Erlaubnis bitten.

Persönliches Bild vom Wollepark vorenthalten?

„In Delmenhorst läuft nichts ohne die städtische Pressestelle“, sagt Mark Sender von Weser TV. Die lokale Fernsehstation wollte unsere Veranstaltung eigentlich für Interviews mit den Gästen nutzen. Auch dafür wurde aber am Veranstaltungstag eine Zusage zurückgezogen. Am Ende durfte ausschließlich der Stadtvertreter am Tisch, Fritz Brünjes, unter anderem Fachbereichsleiter für Bauen und Planen, vor die Kamera. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Stadt daran gelegen war, die Diskussion thematisch auf Verwaltungsfragen zu beschränken.

Die Perspektive für die Blöcke 11 und 12 ist, dass alles so eskaliert, bis man sagen kann: die sind nicht mehr bewohnbar

So erteilte die Stadt im Vorfeld einem Sozialarbeiter aus dem örtlichen Jugendhaus Sachsenstraße keine Teilnahmeerlaubnis. Seine Anwesenheit sei nicht nötig, für die Stadt sei ja schon Herr Brünjes dabei, hieß es. Dass es uns um die persönlichen Erfahrungen eines Jugendarbeiters ging, konnte oder wollte der Pressesprecher nicht nachvollziehen. Stattdessen bot er an, den Fachdienstleiter für Jugend, Familie und Soziales als Teilnehmer anzufragen. Es scheint, als wollte man der Öffentlichkeit ein allzu direktes, persönliches Bild vom Leben im Wollepark vorenthalten.

Genau das hätte auch Susanne Ahrens liefern können. Nur wenige Tage vor der meinland-Diskussion war sie mit unserem Redakteur Paul Toetzke und der ebenfalls eingeladenen Quartiersmanagerin Eva Bernau durch den Wollepark gelaufen. Sie hatte mit fundiertem Wissen zu den Belangen der BewohnerInnen und den Sanierungsplänen beeindruckt – und verbal auf den Putz gehauen: Für die BewohnerInnen der Problemblöcke sei keine Integration vorgesehen, sagte sie damals, „es fehlt an sozialer Infrastruktur“. Und: „Die Perspektive für die Blöcke 11 und 12 ist, dass alles so eskaliert, bis man sagen kann, die sind nicht mehr bewohnbar.“

„Ressourcengründe“ vs. Meinungsvielfalt

Jetzt, zwei Wochen später, gibt die Pressestelle immer noch an, nicht zu wissen, wer Susanne Ahrens' Auftritt verhindert hat. Stattdessen meldet sich Stadtbaurätin Bianca Urban. Man habe sich aus „Ressourcengründen“ dagegen entschieden, zusätzlich zu Fritz Brünjes noch jemanden zu entsenden. Warum das ein Problem sei, wo doch die zunächst Eingeladenen bereit gewesen wären, kann sie nicht beantworten.

Auch nicht, warum das Verbot erst am Veranstaltungstag kommuniziert wurde. „Verbot, Genehmigung, städtische Weisung – das sind alles so harte Worte“, sagt Urban dann noch, so sei das alles nicht gemeint gewesen. „Wir sind mit Verve und Kraft am Thema Wollepark dran. Viele Fachbereiche arbeiten da intensiv zusammen“, sagt die Baurätin. Es bleibt das Geheimnis der Delmenhorster Stadtverwaltung, warum diese Vielfalt nicht am meinland-Tisch abgebildet werden sollte.