Kultur wird elitär gemacht: Eintritt frei!

Warum bei uns so wenige Kulturinstitutionen eine demokratische Eintrittspolitik hinbekommen – und Menschen durch Preise abschrecken.

Wie Supermarkt nur umgekehrt: Der Weg zur Kultur führt meist erst an der Kasse vorbei Foto: Caroline Seidel (dpa)

Man kann die Menschen in Deutschland in drei Gruppen einteilen: Etwa 50 Prozent sind so genannte „Nie-Besucher“ kultureller Einrichtungen, 40 Prozent sind „Gelegenheitsbesucher“ und nur zehn Prozent sind „Kernbesucher“. Das geht aus einer Metastudie des Hildesheimer Kulturforschers Thomas Renz hervor, die sich auf Daten über die Besuchshäufigkeit stützt.

Doch werden Museen oder Theater nicht gerade deshalb staatlich gefördert, weil sich ihr Bildungsauftrag an alle richtet? Und woran liegt es, dass so viele Menschen diesen Orten fernbleiben?

Ein naheliegender Grund ist, dass die Teilnahme am Kulturleben meistens Geld kostet. Manchmal sogar richtig viel. „Ein Opernbesuch kann nicht billiger als Kino sein,“ sagt Michael Bellgardt, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsoper Hamburg: „Man muss die Verhältnismäßigkeit sehen, was an Arbeit dahinter steckt: Ein Live-Orchester, ein Live-Chor, Live-Solisten und viele weitere Akteure arbeiten für eine erfolgreiche Vorstellung. Das hat seinen Preis.“

Weil dieser Preis für manche zu hoch ist, gibt es ehrenamtliche Organisationen wie Kulturlogen, ohne deren Hilfe viele Menschen vor verschlossenen Theatertüren stünden. Für Arbeitslose zum Beispiel sei es sehr schwer, Geld für kulturelle Veranstaltungen aufzubringen, sagt der Musiker und Kommunikationsdesigner Max Ciolek aus Osnabrück. „Wenn ich so wenig Geld habe, muss ich gucken, wie ich über die Runden komme. Da bleibt nichts für Kultur über.“

Kultur kostet Eintritt. Aber muss das so sein? Im Wochenendschwerpunkt vergleicht taz.nord vergleicht die Eintrittspolitik norddeutscher Museen und Bühnen mit der Praxis im europäischen Ausland. Klarer Fall: Die Hürden für Teilhabe sind anderswo niedriger. Und dort, wo es, wie in der Bremer Schwankhalle gute Erfahrungen mit demokratischen Bezahlmodellen gibt, werden die hoffnungsvollen Ansätze durch Leitungswechsel beseitigt.

Gute und vorgeschobene Gründe, Sachzwänge und Wunschvorstellungen – die ganze Felderkundung finden Sie in der Regionalausgabe von taz.die tageszeitung am Wochenende vom 12./13. Dezember. Und die gibt's in Norddeutschland an jedem guten Kiosk.

Ciolek hat in Osnabrück für die Einführung des Kulturpasses „Kukuk“ gekämpft, weil ihm das Angebot an ermäßigten Tickets viel zu unübersichtlich und unbekannt erschien. Selbst ermäßigte Eintrittspreise von 8 Euro seien für viele Menschen noch zu teuer, meint er.

Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass es auch anders gehen könnte: Seit 2001 kosten die staatlichen Museen dort keinen Eintritt. „Die Museen verzichten auf eine gewisse Summe an Eintrittsgeldern, erreichen aber viel mehr Leute“, sagt Herbert Mondry, Vorsitzender des Berufsverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler in Deutschland. Die britischen Museen seien „viel stärker im Zentrum der Gesellschaft“.

Mondry hält das deutsche System für falsch. Die Politik verlange von staatlich geförderten Museen, dass sie selbst dazu beitragen, sich zu finanzieren, und schaffe somit Anreize, mehr Eintrittserlöse zu generieren. „Der Bildungsauftrag kann doch aber nicht darin bestehen, pro Monat 200 Busladungen voller Touristen durch die Museen zu schleusen“, sagt er. „Die Menschen vor Ort sollten die Basis bilden, egal ob sie es sich leisten können oder nicht.“

Die Politik reicht den Schwarzen Peter weiter an die Museen. „Viele Hamburger Museen wie die Kunsthalle und die Historischen Museen sind als öffentlich rechtliche Stiftungen organisiert. Sie können selbstständig darüber bestimmen, wie die Museen mit ihrem Geld umgehen und wie sie den Bildungsauftrag am besten umsetzen. Als Behörde schreiben wir ihnen das nicht vor“, sagt Enno Isermann, Pressesprecher der Hamburger Kulturbehörde.

Die Museen jedoch wollen auf das Geld nicht verzichten. „Die meisten Museen haben gar keine finanziellen Spielräume bei den Eintrittspreisen, auch wenn sie ihre Häuser gerne unentgeltlich öffnen würden,“ sagt Eckart Köhne, der Präsident des deutschen Museumsverbandes.

In Hannover kosten die Museen wenigstens freitags keinen Eintritt. Bei Sprengel Museum, Kunstverein und Historischem Museum ist das schon länger so, Anfang des Jahres folgte die Kestnergesellschaft. Hans Lochmann, Chef des Museumsverbandes für Niedersachsen und Bremen, sieht das als Möglichkeit, neue Zielgruppen zu erschließen: „Gerade an einem besucherschwachen Tag wie dem Freitag hat das Sinn.“

Was passieren kann, wenn „Nie-Besucher“ von Kulturveranstaltungen zu „Kernbesuchern“ werden, berichtet Kulturpass-Initiator Ciolek: „Vor einiger Zeit beantragte ein syrisches Pärchen in relativ gebrochenem Deutsch bei uns den Kulturpass. Als sie nach einem halben Jahr wiederkamen, waren wir total überrascht, als die Frau uns in fast perfektem Deutsch berichtete, dass ihr Mann selbst in einer Theatergruppe mitwirke und ein Theaterstück über Flüchtlinge geschrieben hat, das hier auf einem lokalen Theaterfestival vorgeführt wurde.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.