LGBTI-Rechte in Europa: Es bleibt ein Kampf

Zwar hat sich viel getan in der Genderpolitik, in der Praxis finden die Ergebnisse aber nicht überall Beachtung. Wie steht es um Rechte von LGBTI?

Zwei Männer küssen sich

Hat sich hier die Situation von LGBTI-Personen in Europa verbessert? Foto: dpa

Es dauert nicht mehr lange, dann empfinden Trans*menschen vielleicht nur noch, dass ihr anatomisches und ihr gefühltes Geschlecht nicht zusammenpassen! Dies legt zumindest die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erarbeitete elfte „Internationale Klassifikation der Krankheiten“ (ICD) nahe. Mit dem ICD-11 macht die Behörde besser, was sie vor dreißig Jahren schon einmal hätte gut machen können.

Damals, am 17. Mai 1990, stellte sie den neunten ICD vor: In Homosexualität erkannte die Behörde keine Krankheit mehr – der 17. Mai wurde daraufhin zum Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Bi­phobie erklärt. Nur: Gegen Trans­phobie unternahm die WHO nichts. Im Gegenteil: trans* zu sein, bedeutete für die kommenden drei Jahrzehnte, an einer mentalen Störung zu leiden.

Jetzt, da die WHO auch Transsexualität nicht mehr pathologisiert, drängt sich die Frage auf, welchen Herausforderungen homo-, bi-, trans- sowie intersexuelle Menschen in Europa heute begegnen? Ein Europa, das nicht an den EU-Außengrenzen Halt macht und sich an den 47 Mitgliedstaaten des Europarats orientiert.

Hat sich hier die Situation von LGBTI-Personen verbessert? Oder erfahren wir jetzt, durch das Erstarken des Rechtspopulismus, den legendären „Backlash“, der uns in vergangen geglaubte Zeiten zurückwirft? Die taz hat sieben Punkte herausgegriffen und zusammengetragen.

1. Eingetragene Partnerschaft, gleichgeschlechtliche Ehe

Als 2001 in den Niederlanden erstmals weltweit gleichgeschlechtliche Paare heiraten durften, wurde in Deutschland die eingetragene Partnerschaft Realität. 17 Jahre später erklärte die Kanzlerin die Ehe für alle dann zur Gewissensfrage, hob die Parteidisziplin auf, und der Bundestag verabschiedete die gleichberechtigte Trauung homosexueller Paare fast mit einer Zweidrittelmehrheit.

Neben Deutschland und den Niederlanden gibt es die Ehe für alle momentan in 14 anderen europäischen Ländern: Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Island, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, das Vereinigte Königreich und Österreich. Dort urteilte übrigens der Verfassungsgerichtshof, eine Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft würde gleichgeschlechtliche Paare diskriminieren.

Österreich ist der erste europäische Staat überhaupt, in dem die Ehe laut Verfassung geschützt ist

Hierdurch avancierte Österreich zum ersten Staat überhaupt, in dem die Ehe verfassungsrechtlich geschützt ist. Armenien bildet dazu das krasse Gegenteil: Obwohl es keine Ehe für alle gibt, erkennt der Staat alle Ehen an, die im Ausland geschlossen wurden – auch gleichgeschlechtliche.

Andernorts sieht es mauer aus: In Italien, der Schweiz, Nordirland, Tschechien, Griechenland und Estland dürfen homosexuelle Paare nur eingetragene Partnerschaften eingehen – und genießen damit weniger Rechte und Privilegien als die verheirateten Paare in anderen Ländern.

Die Türkei und Russland erkennen eingetragene Partnerschaften zwischen Homosexuellen nicht an. In Polen, Litauen, Lettland, Rumänien, der Slowakei und der Ukraine, Moldau, Weißrussland, Serbien und Montenegro existieren sie gar nicht erst.

2. Adoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren

Zumindest rechtlich gehören traditionelle Familienbilder in vielen europäischen Staaten mittlerweile der Vergangenheit an. Den Grundstein für diese Entwicklung legten die Niederlande 2001: Seitdem dürfen gleichgeschlechtliche Paare dort Kinder adoptieren.

Es folgten: Andorra, Griechenland, Belgien, Spanien, Norwegen, Schweden, Portugal, Island, Dänemark, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Luxemburg, Irland, Finnland, Malta, Deutschland, Österreich sowie – mit Abstrichen – San Marino und Estland (dort können nur die Partner eines leiblichen Elternteils dessen Kind adoptieren).

Doch auch ohne gesetzliche Grundlage haben homosexuelle Paare in anderen Ländern derweil die Möglichkeit, Kinder zu adoptieren: In Polen entschied 2018 das Oberste Verwaltungsgericht zugunsten eines lesbischen Paares, welches das gemeinsame Kind auf beide Mütter registrieren lassen wollte.

Auch in Italien existiert kein Gesetz, das Adoptionen für gleichgeschlechtliche Paare regelt. Dennoch entschieden Gerichte in den vergangenen Jahren wiederholt, dass Partner*innen das leibliche Kind ihrer Lebensgefährt*in adoptieren dürfen.

Lesbische Paare müssen sich nicht in allen Ländern um eine Adoption bemühen: Seit dem 1. April 2019 wird nicht nur die gebärende, sondern auch die „Mit-Mutter“ automatisch als solche anerkannt. Dies ist in Deutschland noch anders geregelt: Hier muss sich die „Mit-Mutter“ um eine Stiefkind-Adoption bemühen.

In Irland wird zurzeit ein Gesetz vorbereitet, das gleichgeschlechtlichen Paaren ermöglicht, sich als „Eltern“ auf Geburtszertifikaten eintragen zu können. Bisher sind auf irischen Geburtsurkunden nur die Kategorien „Vater“ oder „Mutter“ vorhanden. Bei Spenderkindern lesbischer Eltern konnte sich bisher nur die gebärende Mutter als solche eintragen, für die zweite Mutter ist keine Bezeichnung vorgesehen – dies wird nun durch die neutrale Bezeichnung „parent“ möglich.

In Schweden trat zum 1. Januar 2019 ein Gesetz in Kraft: Transmänner, die Kinder gebären, werden nun als Väter, Transmütter, die ein Kind gezeugt haben, als Mütter in die Geburtsurkunden ihrer Kinder eingetragen. Es ist das erste Gesetz dieser Art in Europa. Die Mehrheit der europäischen Staaten trägt Transeltern demgegenüber gemäß jenem Geschlecht ein, das sie bei ihrer Geburt gehabt hatten.

3. Pathologisierung und medizinische Versorgung

Reichlich spät, trotzdem ist Dänemark Vorreiter: Mitte 2016 erließ die Regierung ein Gesetz, das Transgender nicht mehr als psychische Störung einstufte. Bereits seit 2014 können transsexuelle Dän*innen auf ihren Ausweisen das ihrer Identität entsprechende Geschlecht eintragen lassen. Sie benötigen dabei nicht einmal eine medizinische Diagnose und müssen sich auch keinen chirurgischen Eingriffen unterziehen, die zu einer irreversiblen Sterilisierung führen würden.

Eine solche Regelung war in europäischen Staaten kein Einzelfall: Erst 2017 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Sterilisierungen bei Transgender eine Verletzung der Menschenrechte darstellt – diese waren zum Zeitpunkt des Urteils noch in 14 europäischen Staaten Voraussetzung dafür, dass ein Transmensch sein Geschlecht ändern konnte: Tschechien, Slowakei, Luxemburg, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, Bulgarien, Rumänien, Türkei, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Finnland, Lettland (Stand: 2018).

Mitte 2016 erließ Dänemark ein Gesetz, das Transgender nicht mehr als psychische Störung einstuft

In Bezug auf die Einstufung als psychische Störung wird Ende Mai 2019 die WHO nachziehen. Die elfte Auflage ihrer Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD) versteht Transsexualität nun nicht mehr als mentale Störung der Geschlechtsidentität, sondern als „Gender-Inkongruenz“, als Nichtübereinstimmung zwischen gefühltem und anatomischen Geschlecht.

Die ICD tritt jedoch erst zum 1. Januar 2022 in Kraft. Welche europäischen Länder bis dahin mit Dänemark gleichziehen, bleibt abzuwarten: Bisher sind in Portugal, Frankreich, Belgien, Griechenland, Irland, Malta und Norwegen keine Diagnosen zur mentalen Gesundheit mehr notwendig, um das eigene Geschlecht in den Ausweisdokumenten zu ändern (Stand: 2018).

4. Geschlechtsangleichende Operationen (Transgender)

Noch schwieriger als die Änderung des Geschlechts im Ausweis stellen sich für Transgenderpersonen geschlechtsangleichende Operationen heraus: Eine obligatorische Voraussetzung für eine Hormontherapie sowie für geschlechtsangleichende Operationen ist in vielen europäischen Ländern eine sogenannte „real-life experience“.

Für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren sollen sich Transgender, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen wollen, als das von ihnen gewünschte Geschlecht in der Gesellschaft bewegen und dabei immer wieder Rücksprache mit betreuenden Ärzt*innen und Psycholog*innen halten. Erst nach einer entsprechenden Diagnose – zum Beispiel müssen in Finnland die Ärzt*innen „Transsexualität“ diagnostizieren – kann eine Hormontherapie und in der Folge eine geschlechtsangleichende Operation eingeleitet werden.

Transorganisationen kritisieren dieses Verfahren: Aus ihrer Perspektive stellt es für die betroffenen Menschen nur eine zusätzliche Peinigung dar. Diese würden sich gezwungen fühlen, weiterhin in Körpern zu leben, mit denen sie sich nicht identifizieren könnten.

5. Geschlechtsangleichende Operationen (Intersex)

In beinahe allen europäischen Staaten stehen bei der Geburt eines Kindes nur zwei Geschlechtsoptionen zur Verfügung: männlich oder weiblich. Diese binäre Einteilung trägt häufig dazu bei, dass Eltern möglichst früh geschlechtsangleichende Operationen beim eigenen Kind durchführen lassen – die Zustimmung des Kindes ist in der Regel nicht notwendig. In Deutschland existiert zurzeit kein Gesetz, das geschlechtsangleichende Eingriffe an Minderjährigen untersagt.

Demgegenüber verabschiedete das maltesische Parlament 2015 den „Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics Act“. Neben anderen Bestimmungen verhindert das Gesetz Geschlechtsangleichungen bei intergeschlechtlichen Personen, falls diese einem Eingriff zuvor nicht bewusst zustimmen. Dies soll geschlechtsangleichende Operationen in der frühen Kindheit verhindern, über die nicht die Kinder selbst, sondern Ärzte und Eltern entscheiden.

Auch die portugiesische Regierung stellte 2018 gesetzliche Regeln auf, um geschlechtsangleichende Operationen bei minderjährigen Intersexuellen ohne deren Einverständnis zu verhindern, erntete dabei jedoch auch Kritik: So können Operationen vorgenommen werden, sobald sich die Geschlechtsidentität eines Kindes „verfestigt“ habe – die Organisation Intersex International (OII) befürchtet, Eltern könnten ihren intersexuellen Kindern eine Geschlechtsidentität unterstellen und sie zur Einverständnisgabe zu einer Operation überreden.

In der Intersex-Resolution verurteilt das Europaparlament Mitte Februar 2019 geschlechtsangleichende Eingriffe bei Intersexuellen und bittet die EU-Mitgliedstaaten, so bald wie möglich die körperliche Integrität dieser Menschen gesetzlich zu verankern.

6. Die dritte Option, das dritte Geschlecht

Dänemark ist das erste europäische Land, das eine dritte Option eingeführt hat: Seit 2014 können Intersexuelle nicht nur „weiblich“ und „männlich“, sondern auch ein „x“ in ihren Pass eintragen lassen. Ein paar Jahre später zieht Malta nach: Der „Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics Act“ verhindert nicht nur fremdbestimmte geschlechtsangleichende Eingriffe; er führt überdies das dritte Geschlecht ein. Seit 2018 geben die maltesische wie die dänische Regierung auch Ausweisdokumente mit einem „x“-Geschlecht aus.

In Deutschland urteilte das Bundesverfassungsgericht 2017, es sei rechtswidrig, dass für intergeschlechtliche Menschen keine positive Bezeichnung im Geburtenregister aufgeführt würde. Der daraufhin von der Bundesregierung ausgearbeitete Gesetzesentwurf sieht neben „weiblich“ und „männlich“ „divers“ als dritte Option vor.

Im Gegensatz zu den beiden ersten Möglichkeiten steht die letzte Option nur zur Wahl, wenn ein entsprechendes medizinisches Attest vorgelegt werden kann. Intersex-Verbände sehen hierin das Recht auf Selbstbestimmung verletzt.

Auch Österreich hat 2018 „divers“ als dritte Geschlechtsoption nach einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs eingeführt. Wie in Deutschland können Intersexuelle in Österreich jedoch nicht selbst über den Eintrag bestimmen.

Am 28. Mai 2018 urteilte ein niederländisches Gericht in Limburg, das Geschlecht eineR intergeschlechtlichen Kläger*in müsse von „weiblich“ zu „nicht feststellbar“ geändert werden. In einem an die Regierung adressierten Begleitbericht stellte das Gericht zudem fest, die Zeit sei „nun wirklich reif für die Anerkennung eines dritten Geschlechts“.

7. LGBTI im öffentlichen Raum

2013 verabschiedete die Staatsduma in Russland ein Gesetz gegen die „Propaganda von Homosexualität“, mit dessen Hilfe die russische Regierung die Verbreitung von „Propaganda“ unter Minderjährigen verbot, die „nichttraditionelle“ Sexualverhältnisse unterstützt. Mehrere Länder im postsowjetischen Raum haben hieraufhin ähnliche Gesetze verabschiedet.

So versuchten Aktivist*innen 2013 in Armenien, ein ähnliches Gesetz gegen die „Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen“ zu verhindern – ihre Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg: Im Oktober 2018 wurde das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet.

Im Juli 2013 versuchte auch die moldawische Regierung, ein ähnliches Gesetz in die Wege zu leiten – der Entwurf scheiterte jedoch.

Noch bevor das Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ in Russland in Kraft trat, versuchte Litauen, ein Gesetz zu erlassen, das Minderjährige gegen vorgeblich homo- und bisexuelle sowie polygame Propaganda schützen sollte. Nach Protest durch das EU-Parlament wurde der offen homophobe Ton des Gesetzes entschärft – das Gesetz besteht jedoch noch immer und bezieht sich auf ein „traditionelles Familienbild“.

Auch in Lettland sollte – im Ergebnis erfolglos – ein Gesetz erlassen werden, das Kindern verbietet, an LGBT-Veranstaltungen teilzunehmen oder auch nur zuzuschauen. Im Jahr 2015 verabschiedete das lettische Parlament eine Änderung im Bildungsgesetz, die Bildungsinstitutionen dazu verpflichtet, Schüler*innen traditionelle Werte wie Familie und Ehe zu vermitteln.

Einen ähnlichen Gesetzesentwurf stellte Polen 2017 vor, mit dessen Hilfe Homosexuelle aus Lehrämtern verbannt werden sollten.

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