Landtagswahl in Hessen: Endlich mal was Neues wagen

Welche Bündnisse sind nach dieser Hessen-Wahl vorstellbar? Warum soll Wandel nicht möglich sein? Hessische Verhältnisse fordern neue Lösungen.

Da geht noch was: Landtag in Hessen Bild: dpa

FRANKFURT/MAIN taz | Wer jetzt wieder bedauernd von „hessischen Verhältnissen“ spricht, hat diese Verhältnisse nicht verstanden – und spielt dem bürgerlichen Lager in die Hände. Der Begriff impliziert, die Lage wäre unklar, der Wille der Wählerinnen und Wähler so „ungünstig“ verteilt, dass sich leider keine stabile Mehrheit finden ließe. Dabei ist schon das „stabil“ in „stabile Mehrheit“ ein tendenziöser Kampfbegriff. Eine Mehrheit ist eine Mehrheit und so lange stabil, wie sie eben eine Mehrheit ist.

Das gilt auch für den Landtag in Wiesbaden, wo sich die CDU einen neuen Partner suchen muss. Wenn es um Stabilität im Sinne einer berechenbaren Politik geht, dann müssten alle Verhandlungen in den nächsten Wochen auf eine Große Koalition hinauslaufen.

Alles bliebe beim Alten, also bei Volker Bouffier und seiner CDU, während im Schatten ein paar SPD-Minister die Arbeit erledigten. Für die hessische Sozialdemokratie wäre die Option einer Regierungsbeteiligung zwar verführerisch, aber vergiftet. Als politische Kleinaktionärin hätte die Partei mit ihrem nicht eben machtlosen linken Flügel auf lange Sicht praktisch nichts zu gewinnen, ideologisch aber alles zu verlieren. Torsten Schäfer-Gümbel, der die SPD eben erst wieder geeint hat, wird das wissen. Hier genügt ein Blick auf die FDP, die in der letzten Legislaturperiode drei Minister stellte und dafür nun förmlich niedergemetzelt wurde.

Andrea Ypsilanti, 56, dürfte das Ergebnis der Hessenwahl bekannt vorgekommen sein. Im Haus am Dom in Frankfurt verfolgte sie die Verkündung der ersten Ergebnisse und fand, das sei ein „spannender Abend“. Nun steht ihr Nachfolger Torsten Schäfer-Gümbel vor exakt den Problemen, an deren Lösung sie selbst 2008 so knapp gescheitert war. Damals hatte Ypsilanti versucht, sich unter Duldung der Linkspartei zur Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen zu lassen.

Abweichler in den eigenen Reihen sahen darin einen Tabu- und Wortbruch, die linke Mehrheit scheiterte am Widerstand von vier SPD-Fraktionsmitgliedern. Roland Koch blieb damals kommissarisch im Amt und führte die CDU in Neuwahlen, aus denen sie siegreich hervorging. Die Erinnerung an das Debakel ist in Hessen noch sehr präsent. Ypsilanti selbst hält an der Idee eines Linksbündnisses fest. 2010 trat sie als Mitbegründerin der linken Ideenschmiede „Institut Solidarische Moderne“ in Erscheinung, deren Arbeit sie begleitet. Ihren Wahlkreis im Frankfurter Norden hat sie am Sonntag nicht gewonnen, wird aber über die Liste wieder in den Landtag einziehen. (fra)

Alles andere als stabil wäre auch die Möglichkeit, die der vermutlich scheidende FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn noch in der Wahlnacht ins Spiel brachte. Demnach bliebe die CDU geschäftsführend im Amt, ohnehin bis Januar 2014, bevor dann mangels Mehrheiten wieder einmal neu gewählt würde.

Die SPD muss die CDU vor sich hintreiben

Dieses Szenario gab es in Hessen schon einmal. 2008 war der damalige CDU-Ministerpräsident Roland Koch faktisch abgewählt worden, seine SPD-Herausforderin Andrea Ypsilanti aber mit der Bildung einer Regierung unter Duldung der Linken an Abweichlern aus den eigenen Reihen gescheitert. Koch blieb so lange ohne eigene Mehrheit „in der Verantwortung“, bis er bei einer Neuwahl dann doch wieder alles klarmachen konnte für seine Partei.

Bei diesem machtpolitisch durchaus wahrscheinlichen Szenario müsste es Schäfer-Gümbel darum gehen, um jeden Preis seinen Reihen fest geschlossen zu halten, um als starker Oppositionsführer den Konkurrenten weiter vor sich herzutreiben.

Es wäre riskantes Spiel auf Zeit mit der sicheren Aussicht auf Stillstand. Wobei die hohe Beteiligung zeigt, dass genau dies eben nicht im Interesse der Wählerinnen und Wähler liegen kann. Auch sollte man die Hessen nicht so oft wählen lassen, bis das Ergebnis den Herrschaften in Wiesbaden ins politische Kalkül passt.

Rein rechnerisch wäre auch eine Ampel möglich. Glücklicherweise aber scheint der Graben zwischen den Grünen und den Liberalen unüberbrückbar zu sein – zumal sich die FDP per Parteitagsbeschluss an die CDU gekettet hat.

Zwei Optionen

So bleiben nur zwei realistische Optionen: Die erste wäre Rot-Grün unter Hinzunahme oder wenigstens Duldung durch die Linkspartei. Hierzu hatte Schäfer-Gümbel vor der Wahl verkündet, die Zusammenarbeit mit den Linken sei „formal“ möglich, „politisch“ aber ausgeschlossen.

Nun ist „politisch“ das, was in den Gremien und Ausschüssen passiert, und nicht ausgeschlossen, dass auch die Linkspartei für ein solches Bündnis ihre Maximalforderungen ein wenig mäßigen könnte, etwa im Hinblick auf den Frankfurter Flughafen. Hier wäre Schäfer-Gümbel allerdings in exakt der verzwickten Lage, die Andrea Ypsilanti 2008 Ruf und Amt gekostet hatte. Mehr als fraglich, ob seine eigene Koalition – von der Bundespartei ganz zu schweigen – diesen Linksschwenk mittragen würde.

Die zweite Möglichkeit: eine Koalition aus CDU und Grünen. Es spricht einiges dafür, dass Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir ihre Animositäten beilegen könnten. Al-Wazir hat inzwischen 14 Jahre seines politischen Lebens in der Opposition verbracht und wäre gewiss kein schlechter Minister. Auch gibt es inhaltliche Übereinstimmungen, etwa in der Bildungspolitik. Überdies erscheint es nach dem Debakel im Bund für die Grünen taktisch sinnvoll, wieder mehr in die Mitte zu rücken – also dorthin, wo sie vor dem Linksruck im Wahlkampf ihre besten Ergebnisse eingefahren haben.

Andere Konsequenzen ziehen

Auf der anderen Seite könnte sich der ehemalige „Schwarze Sheriff“ Volker Bouffier nicht nur als präsidialer Landesvater verkaufen, sondern sich auch einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern – als der Politiker, der den Grünen dabei half, ihre gesellschaftliche Mission zu vollenden. Ein gefahrloses Experiment, zumal er seine Partei im Griff hat und aus einer gönnerhaften Umarmung des kleineren Koalitionspartners notfalls auch schnell ein Schwitzkasten werden könnte.

Der Witz an den „hessischen Verhältnissen“ ist nicht, dass die Bevölkerung offenbar genau diese Verhältnisse wünscht. Der Witz ist, dass daraus andere Konsequenzen zu ziehen wären als der übliche Ruf nach Neuwahlen oder einer Großen Koalition.

Das Ergebnis sollte deshalb als Aufforderung gelesen werden, endlich etwas Neues zu wagen. Es gibt Mehrheiten jenseits der eingespielten Tanzpartnerschaften. Jetzt käme es darauf an, diese Mehrheiten endlich einmal einer Belastbarkeitsprüfung zu unterziehen. Jetzt. Wann sonst?

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