Laudatio von Adrienne Goehler: Ein Mittel der Integration

Jurorin Adrienne Goehler lobt das Engagement von Lina Schönfeld, der Gewinnerin des taz Panter Preises der Jury.

Adrienne Goehler würde sich wünschen, dass künftig auch Flüchtlingsfrauen im Boxen trainiert werden können. Bild: Hein-Godehart Petschulat

Im Folgenden bilden wir das Manuskript der Laudatio von Adrienne Goehler zu Lina Schönfeld ab, Gewinnerin des Jurypreises beim taz Panter Preis 2015. Die Laudatio wurde am Abend des 19. September 2015 im Deutschen Theater Berlin gehalten. (Anm. d. Red.)

Hemingway, Norman Mailer, Brecht, alle haben sie über die Faszination des Boxens geschrieben, aber die „Box-” hat die US-amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates verfasst.

Für sie ist Boxen kein Sport, sondern ein machtvolles Bild des Lebens mit all seinen Facetten, seiner Schönheit, Verletzlichkeit und Verzweiflung, voll unberechenbarem und selbstzerstörerischem Mut. Boxen als die willentliche Verwandlung von Schmerz, Demütigung, Chaos in ihr Gegenteil. „Jeder Boxkampf sei ein einzigartiges und bis zum Äußersten verdichtetes Drama ohne Worte.”

Davon hat unsere Heldin des Alltags in Uganda viel gespürt, dorthin war sie gefahren um für ihre Masterarbeit zu recherchieren und ganz praktisch zu erfahren, wie sehr Boxen als Kampfsport geeignet ist, um traumatisierten Menschen wie Kindersoldaten und Kriegsflüchtlingen zu helfen, ihren Ängsten und Albträumen, ihrer Wut und Ohnmacht zu begegnen.

Von dort ist sie mit dem beunruhigenden Wissen zurückgekommen, „dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen und vor Krieg, Tod, Hunger oder Gefängnis fliehen müssen” dann im vermeintlich „sicheren Europa nicht zur Ruhe kommen können”

Deshalb wollte sie darüber nicht nur ihre Masterarbeit schreiben, sie wollte handeln, in politische Interaktion treten, was für Hannah Arendt fundamental für eine Vita activa war. Ihr war bewusst geworden, dass man nicht unbedingt nach Afrika reisen müsse, um traumatisierte Menschen zu treffen, sondern es darum gehe, ihnen hier ein Ankommen nach der Flucht zu ermöglichen.

Also hat unsere Heldin des Alltags in ihrer Heimatstadt Braunschweig junge Flüchtlinge aus dem Kosovo, der Elfenbeinküste, Albanien und Syrien aufgespürt und trainiert sie seither im Boxen. Alle, ohne zwischen Migranten oder Flüchtlingen zu unterscheiden.

Jeden Samstag teilen sie zwei Stunden Auszeit durch Auspowern, einmal alles vergessen und ohne Grübeln schlafen können. Nebenbei geht sie mit ihnen auch auf die Ämter, organisiert Fahrdienste und sorgt dafür, dass sie Deutsch lernen. Ihr Verein unterstützt sie dabei.

Sport sei ein wunderbares Mittel der Integration. Sich zusammen zu bewegen, öffne die Menschen, könne ihnen Kraft und einen Ausweg aus der Isolation geben. Sie glaubt an die befreiende Wirkung des Boxsports, an die Verausgabung, an die Umwandlung von Spannung in körperliche Kraft und seelische Stärke, in Selbstwertgefühl, und sie verlangt Disziplin, wer zu spät kommt macht Liegestütze.

Sie war Senatorin für Kultur und Wissenschaft in Berlin sowie erste Präsidentin der Hamburger Hochschule für bildende Künste. Darüber hinaus ist die diplomierte Psychologin vielseitig engagiert, auch als langjähriges Kuratoriumsmitglied der taz Panter Stiftung.

Es ist vermutlich nicht nur für die Flüchtlingsmänner ungewöhnlich, von einer Frau im Boxen trainiert zu werden und auf diesem Wege ganz nebenbei ein anderes Frauenbild zu erfahren.

Und an bewegenden Abenden wie diesem kommt dann auch gleich der Wunsch auf, dass ihr der heutige Abend und ein Preis soviel Rückenwind gibt, dass sie künftig auch Flüchtlingsfrauen im Boxen trainieren kann, um sie auch auf diese Weise stärker in die Gesellschaft hinein zu holen. Über ihre Arbeit sagt unsere Heldin des Alltags einen so unprätentiösen schönen Satz wie:

„Wenn jeder das, was er gerne macht, mit jemandem anderen teilt, der dazu normalerweise die Chance nicht hätte, dann ist das einfach eine ganz große Sache ...”

Das fanden wir auch und haben Lina Schönfeld für diese sehr besondere Haltung den Panter Preis 2015 der Jury zugedacht.

Herzlichen Glückwunsch, Lina Schönfeld!

Adrienne Goehler, 19. September 2015, Deutsches Theater Berlin