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Lea Bonasera von der Letzten Generation Doppelt so schlau

Klimaaktivistin Lea Bonasera hat den Ernst der Lage erkannt. Sie glaubt: Widerstand ist wirksamer als demokratische Mehrheiten. Ein Treffen auf der Berliner Oberbaumbrücke.

Klimaaktivistin Lea Bonasera Foto: Marzena Skubatz/DER SPIEGEL

taz FUTURZWEI | Es war einer dieser typischen Herbsttage in Berlin, bei denen manche Einheimischen in seliger Vorfreude seufzen: „Ach, dit is Balin, im Winter gleich doppelt so schau!“, und dabei zwinkern sie kurz, damit Zugereisten die Ironie nicht entgeht.

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Es hatte knapp 30 Grad, ich trug Sonnenbrille, weil die Sonne auf den betonierten Verkehrsstelzen an der Warschauer Straße keine Schatten duldet. Obwohl da neuerdings ein Hochhaus aus Glas stand, das bei meinem letzten Besuch noch nicht da gewesen war. Ein Bettler schlief im Schneidersitz, den Kopf auf der Brust, ein Speichelfaden bis in den Schoß. Sein Hund beobachtete mich aus braunen Augen. Ich wartete am Geländer über den Schienen, die nach Osten aus der Stadt führen. Gestanden hatte ich schon in der S-Bahn hierher und mehr als fünf Stunden gesessen im ICE aus Wiesbaden.

Vor mir eilten Pendler und Übernächtigte von einem Bahnhof zum anderen. Unter mir überholte eine S-Bahn einen Güterzug. Hinter mir stauten sich die „mundgeblasenen, goldenen Christbaumspitzen“ der automobilen Existenz, wie Peter Sloterdijk einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt hatte – über Kinder und „die Jugend“ nämlich. Über mir kreuzten sich zwei Kondensstreifen. „Wenn Sie sich mit einer Klimaaktivistin treffen“, hatte die Frau vom Verlag am Telefon gesagt, „können Sie ja schlecht das Flugzeug nehmen“.

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Theorie hat immer Haken

Lea war pünktlich auf die Minute, das hatte ich von ihr nicht anders erwartet. Sie war nicht sehr groß, aber größer als ich, also groß genug. Ihr Gang war so federnd, wie es Doc Marten’s eben zulassen. Das sind Schuhe für Leute, die noch etwas Robustes vorhaben. Sie trug einen kurzen Rock, darüber ein marmeladenfarbenes Cordhemd in Übergröße. Auf der Schulter waren Streifen aus weißer Farbe, als hätte sie gerade ihr WG-Zimmer gestrichen. Was sie darunter trug, habe ich vergessen: „Schreiben Sie bitte nicht darüber, was ich für Klamotten trage“, sagte sie: „Das tun sie alle“. Ihr Händedruck war fester, als ich erwartet hatte.

Lea hatte ein Buch geschrieben, das in der Frankfurter Allgemeinen gleich doppelt verrissen worden war. Die Journalistin von der Süddeutschen war freundlicher mit ihr, hatte aber ausführlich ihre Kleidung beschrieben. Danach gab es noch eine Besprechung des Buches, in dem Lea ihre Theorie des zivilen Widerstands erklärte, und darin stand streng: „Die Theorie hat einen Haken“. Ist das nicht der Unterschied zwischen Theorie und Tatsache, fragte ich mich und rieb meine schmerzende Hand, dass die Theorie eben immer Haken hat und die Tatsache nicht?

LEA BONASERA

Die Zeit für Mut ist jetzt!

Wie uns ziviler Widerstand aus Krisen führt

Fischer 2023 – 224 Seiten, 18 Euro

Jenseits der Oberbaumbrücke standen Zelte im Park, davor in Einkaufswagen die Habseligkeiten ihrer Bewohner. Wir überquerten die Straße und suchten ein indisches Restaurant. Beim veganen Palak Paneer bot sie mir das „Du“ an. Sie ist halb so alt wie ich, aber doppelt so schlau, viermal so höflich – und nicht annähernd so zynisch. Das hatte etwas Entwaffnendes.

»Bis ich gewählt werde, ist es schon zu spät«

Ich wollte mich aber nicht entwaffnen lassen: „Warum gehst Du nicht in die Politik?“, fragte ich. An den Grünen könne man sehen, wie Macht korrumpiere: „Und bis ich gewählt werde“, sagte sie, „ist es schon zu spät“. Der Klimawandel ist nicht mehr zu stoppen, aber wie heiß es wird, das kann man noch regulieren, denkt sie. Besser Hände auf dem Asphalt als im Schoß, denkt sie.

Wir spazierten hinunter zur Spree und wichen dabei immer wieder rücksichtslosen Fahrradfahrern aus. Da tritt das gute Gewissen mit in die Pedale. Elektrische Fahrräder sind auch bergauf sehr schnell. Das ist der Fortschritt. Vor der Kreuzung die Idee, sie dort zu fotografieren. Lea im Vordergrund, im Hintergrund bei langer Belichtungszeit der rauschende Verkehr: „Können wir machen, das tun sie alle“. Bilder sind wichtig. Menschen wollen sich ein Bild machen.

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Im Internet schreiben die Leute, man sollte die „Chaoten einfach überfahren“, wenn sie sich auf die Straße klebten, dann gäbe „es halt Tote“. Die Leute im Internet schreiben viel, sagte Lea, und dass sie ihr leid täten. „Mit diesen Aktionen findet ihr keine Verbündeten in der Mitte! Ihr braucht doch Alliierte! Mehrheiten!“, schimpfte ich – und hatte dabei das Gefühl, ihr auch leid zu tun.

Vielleicht tat ich mir auch selbst ein bisschen leid. Selbstmitleid hat, wie jede Theorie, einen großen Haken. Es führt nirgendwo hin. Vielmehr müsste es darum gehen, dieses lähmende Gefühl hinter sich zu lassen. Federnden Schrittes vielleicht, und dabei Haken schlagen. Theoretisch oder praktisch, ganz egal. Hauptsache: Haken.

Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 im Magazin taz FUTURZWEI N°27 erschienen.