Leichtathlet Karsten Warholm: Springender Comic-Held

In Berlin beginnt die Leichtathletik-Europameisterschaft. Der Hürdenlauf-Weltmeister Karsten Warholm aus Norwegen wird ein Hingucker sein.

Karsten Warholm springt in Sportbekleidung über eine Hürde, dahinter sitzen Zuschauer in einem Stadion

Belastungsresistent: der gelernte Zehnkämpfer Warholm hat sich zuletzt stetig und rasant verbessert Foto: reuters

BERLIN taz | Karsten Warholm lässt sich ohne Umstände diesen orangefarbenen Becher in die Hand drücken. Er lächelt mit Becher und einem älteren Herrn an seiner Seite in die Kameras. Der ältere Herr ist Jörg Woltmann, „Berliner Porzellan-Patriot“ (Handelsblatt) und Eigentümer der Königlichen Porzellan-Manufaktur KPM. Karsten Warholm ist Europas bester Hürdenläufer über 400 Meter. Im Vorjahr ist der Norweger sogar Weltmeister auf dieser Strecke geworden. Eine kleine Sensation, die der damals 21-Jährige mit einem Wikingerhelm auf dem Kopf feierte.

Bänker Woltmann erhofft sich ein wenig Glanz für sein Traditionsunternehmen, das er vorm Zugriff der Chinesen gerettet hat, mithin einen Imagetransfer von der Europameisterschaft der Leichtathleten. Woltmann, 71, graubeiger Anzug und Hemd in Rosé, sieht aus wie einer dieser Westberliner Lebemänner, Warholm wie ein fröhlicher Praktikant, dem die Welt der Leichtathletik offensteht.

Der Kontrast könnte nicht größer sein. Der Läufer trägt ein blaues T-Shirt, Slim-fit-Jeans, die er hochgekrempelt hat, und auf seinen weißen Sneakers prangt eine Erdbeere. Eine Erdbeere? Woltmann muss ihn für radikal underdressed halten in seinem hochpreisigen Porzellan-Imperium.

Karsten Warholm

„Ich bin ein junger Kerl, der einfach schnell rennen und Spaß

haben will“

„Ich bin ein junger Kerl, der einfach schnell rennen und Spaß haben will“, sagt Karsten Warholm, dem die Unbekümmertheit aus jeder Pore dringt. Der Wirbel um seine Person macht ihm nichts aus. Er genießt die Aufmerksamkeit, Leichtathleten stehen ja nicht so oft im Fokus der Öffentlichkeit. Warholm wird in Berlin nicht nur über die 400 Meter Hürden antreten, sondern auch über die normale Stadionrunde.

Berauscht von der Leistung

Das klingt nach einer Tortur, aber der europäische Verband hat es den Sprintern heuer mit den Doppelstarts etwas einfacher gemacht. Die besten zwölf des Jahres ziehen direkt ins Halbfinale ein, weswegen der Norweger nur vier Läufe absolvieren muss, jeden Tag von Dienstag bis Freitag einen. Die nötige physische Härte für sechs Starts hätte er aber auch gehabt.

Er ist gelernter Zehnkämpfer. Diese Typen wirft so schnell nichts um, sie sind belastungsresistent, können viel mehr verknusen als viele Kollegen. Einmal, 2015 bei der U20-EM in Eskils­tuna/Schweden, ist er im Zehnkampf – und zusätzlich über 400 Meter angetreten. „Das war das Anstrengendste, was ich jemals gemacht habe, das Laktat schießt dir nur so in den Muskel.“

Er hat da übrigens zwei Silbermedaillen gewonnen. Und im Vorjahr hat er einen weiteren Härtetest mit Bravour bestanden. Bei der U23-EM im polnischen Bydgoszcz ist er sechs Mal über die Stadionrunde gehirscht und hat dabei Gold und Silber gewonnen, als wäre es ein Leichtes.

Für Warholm ist es in den vergangenen Jahren nur vorangegangen, atemberaubend schnell. Berauscht von seiner Leistung überschritt er eine Grenze nach der anderen. Einen norwegischen WM-Titel hatte vor Warholm nur Ingrid Kristiansen gewonnen, 1987 über 10.000 Meter, jetzt ist er neben den Brüdern Henrik, Filip und Jakob Ingebrigtsen (1.500 und 10.000 m) die Identifikationsfigur für norwegische Leichtathletikfans, und nicht nur für die.

Boom auf der Strecke

Er hat schnell gesehen, dass der Wechsel vom Zehnkampf (Bestleistung gut 7.700 Punkte) zu den 400 Metern Hürden die wohl beste Entscheidung seines Lebens gewesen ist. Andere haben vorgemacht, wie gut das funktionieren kann: Die Belgierin und vormalige Siebenkämpferin Tia Hellebaut wurde 2008 Hochsprung-Olympiasiegerin, Dafne Schippert aus den Niederlanden 200-Meter-Weltmeisterin.

Seine Bestleistung hat er unter dem Osloer Trainerguru Leif Olav Alnes – „Doktor Sprint“ genannt – im Vorjahr auf 48,22 Sekunden verbessert. Dieses Jahr war er fast noch mal eine halbe Sekunde schneller: 47,81. Seine Bestzeit ohne die Hindernisse: 44,87 Sekunden. Und obwohl er also noch mal etwas draufgepackt hat auf seiner Lieblingsstrecke mit den 91,44 Zentimeter hohen Hürden, sind andere schneller gewesen, allen voran der in Saudi-Arabien geborene und für Katar startende Abderrahman Samba, der beim Meeting in Paris nach nur 46,98 Sekunden die Ziellinie überquerte.

Knapp dahinter rangieren in der Jahresbestenliste der US-Amerikaner Rai Benjamin (47,02) und Kyron McMaster von den Britischen Jungferninseln (47,54). Das sind viele Zahlen, sie unterstreichen vor allem eines: den unglaublichen Boom auf dieser Strecke. Die 400 Meter Hürden sind auf jedem Sportfest ein echter Hingucker. Das ist wie in den besten Zeiten von Edwin Moses und Harald Schmid.

Dass Warholm jetzt bei dieser EM im kubanischen Türken Yasmani Copello nur einen ernstzunehmenden Konkurrenten hat, macht der Norweger mit seiner Extravaganz locker wett. In diesen Tagen wird er stets gefragt, ob er nicht vielleicht der neue Usain Bolt sei. „Um ehrlich zu sein“, sagt er dann, „in der Leichtathletik gibt es fast jedes Jahr einen neuen Wonderboy, ich denke da nicht viel drüber nach.“

An Bolt wird der Wirtschaftsstudent nicht so schnell heranreichen, das ist ihm klar, aber auf Werbeplakete für diese EM hat es der Mann aus dem norwegischen Dorf Ulsteinvik geschafft. Er ist da als Ente mit Wikingerhelm in der Hand zu sehen. Ein Comic-Held in der deutschen Donald-Duck-Ausgabe ist er schon mal.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.