Lesebühne mal ganz anders: Nicht lesen, performen!

Bücherbattles, Büchersprints – Bücher werden transmedial gedacht, geschrieben und gelesen. Ein statisches Medium wird schnell, interaktiv und leichter zugänglich.

Bücherbattler mit Requisiten: Mikro, Buch, Computer, Gras. Bild: Andi Müller

Draußen rauscht auf Augenhöhe die Hochbahn vorbei, den Blick dorthin gibt die nach außen geneigte Fensterfront frei. Man fühlt sich wie in einem Raumschiff, wobei die Inneneinrichtung mit den dunkelroten Tapeten an eine Hotellounge der 50er Jahre erinnert. Eine Frau steht vorn an einem Tisch mit Leselampe.

Zu Computerrhythmen performt sie singend und sprechend antike Verse: „Da wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Es geht um Odysseus und die Verlockungen der Sirenen. Vorgetragen nicht aus Homer, sondern aus Adornos „Die Dialektik der Aufklärung“.

Die Odyssee dauert sieben Minuten. Dann verstummen die Rhythmen, der Moderator schaltet sich ein: „Danke, Vanessa!“ Das Publikum jubelt. Ein mutiger Beitrag in einem Klub am Kottbusser Tor, dem sozialen und kulturellen Epi-Zentrum Berlin-Kreuzbergs.

Antike Mythen sind zwar Klassiker, aber doch schwere Kost am späten Mittwochabend bei einem Bücherbattle. Gerungen wird um die beste Buchvorstellung. Alles ist erlaubt, in sieben Minuten. Wer gewinnt, entscheidet am Ende das Publikum qua Applausstärke.

Ein Bücherbattle ist die Verbindung von Literatursalon und Hip Hop-Battle, von Muße und Tempo. Vergilbte Seiten verwandeln sich in Performances und – möglicherweise schon bald – in ein digitales Gut. „Vielleicht gibt es zukünftig auch Audio-Files zum Anhören im Netz“, sagt Andreas Müller, der sich die Veranstaltung ausgedacht hat. Das alte, vermeintlich statische Medium Buch wird in einen neuen Aggregatzustand befördert. Vom Papier ins Netz, vom Einzelautor zum Kollektiv, vom Text zum Kontext.

Nicht schreiben - kollaborieren und sprinten!

„Die Zukunft des Buches ist open und collaborative“, postulierte der von Müller als Special Guest geladene Adam Hyde vor dem Battle auf der Bühne. Hyde stammt aus Neuseeland, er ist ein Opensource-Aktivist, der Buchsprints initiiert. Dafür hat er eine eigene freie Editing-Software entwickelt. Bei einem Buchsprint schreiben einige Personen gemeinsam in einer Zeitspanne von drei Stunden bis fünf Tagen ein Buch.

Wichtig sei, so Hyde, dass sich vorher keiner der Schreiber Gedanken über das Buch gemacht hat. Alle Personen sind über das Internet verbunden und befinden sich dennoch an einem Ort, um direkt miteinander zu kommunizieren. Jeder findet sich in den wechselnden Rollen des Schreibenden, Redigierenden und des Layouters wieder. Das Endergebnis ist ein druckfähiges pdf. Für Hyde ist das Buch ein Prozess. Auch der klassische Einzelautor sei immer von seinem Leben und den Menschen darin inspiriert. Sie alle wirken am Buch mit.

„Das Format Bücherbattle funktioniert auch ganz gut offline“, sagt Andreas Müller. Eine Sneak Preview im Kino stellte er sich vor, als er auf die Idee kam. Ein Trailer mit Best-Of-Szenen aus Büchern, aus der Not heraus: „Ich schaff das alles nicht zu lesen, was ich lesen will“, sagt Müller.

Battlen mit Beschneidungsszenen

Der Bücherbattle ist mehr als eine beschleunigte Variation der klassischen Lesebühne. Er spiegelt das, was im Netz passiert. Der User, der im Netz den Like-Button drückt, darf hier im Publikum applaudieren und johlen. Der Nutzer, der im Netz einen Text kommentiert und verlinkt, ist der, der beim Battle das Buch vorstellt.

Jeder Battle-Teilnehmer erzählt zu seinem Buch eine kleine persönliche Geschichte: warum er sich das Buch gekauft, unter welchen Umständen er es gelesen und was er daraus gelernt hat. So liest eine Teilnehmerin aus dem ungeahnt aktuellen Forscherbericht über die Beschneidung junger männlicher Aborigines aus einem wissenschaftlichen Buch der 60er Jahre mit dem Titel „Liebesleben der Naturvölker.“

Am Ende gewinnt den Battle nicht die originellste Performance, sondern eine gut ausgesuchte, einfach vorgelesene Passage aus dem Buch, das vermutlich dem größten Teil des Publikums bekannt war: Sven Regeners Roman „Neue Vahr Süd“ und der verunglückte Sprung des Frank Lehmann über die Hecke.

Der nächste Bücherbattle findet am 26.September 2012 um 20 Uhr im "Monarch" statt, Skalitzer Str. 134, Berlin-Kreuzberg. Info: www.buecherbattle.de

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