Leserkommentare auf Sueddeutsche.de: Ein digitaler Debattensalon

Sueddeutsche.de schafft die Kommentarfunktion unter Artikeln ab. Diskutiert werden soll künftig nur noch zu ausgewählten Themen.

Diskutierte am Dienstag auf Twitter kräftig mit: Sueddeutsche.de-Chef Stefan Plöchinger. Tabelle: Twitter

BERLIN taz | Nichts Geringeres als den „Leserdialog neu denken“, will Stefan Plöchinger, Chefredakteur von sueddeutsche.de und hat mit seinem Team das Diskussionssystem der Nachrichtenseite komplett umgestellt. Die Kommentarfunktion, die bisher unter jedem Onlineartikel stand, fällt ab sofort weg. Stattdessen sollen die Diskussionen in die sozialen Netze verlegt werden.

Jeder Artikel, der bei Facebook gepostet wird, soll auch dort von den Lesern besprochen werden. Ein Debattenmonitor unter dem eigentlichen Artikel auf sueddeutsche.de zeigt an, wie auf Blogs und in sozialen Medien gerade über den Text diskutiert wird.

Gänzlich wegfallen sollen die Leserkommentare auf sueddeutsche.de allerdings nicht. In einem Extraforum bietet die Redaktion täglich zwei bis drei aktuelle Themen zur Diskussion an. Die dort stattfindenden Diskussionen sollen noch stärker als bisher von Redakteuren moderiert werden.

Der Branchendienst turi2 nennt die Neuerung eine Beschneidung der Leserdiskussion. Stefan Plöchinger reagierte mit einem langen Blogbeitrag. Nicht beschneiden, sondern ernster nehmen wolle er die Kommentatoren auf sueddeutsche.de. Ein Großteil der Diskussionen finde heute schon auf Facebook statt. Auf der eigentlichen Nachrichtenseite störten oft Trolle das Diskussionsklima. Sie besser abzuwehren und das Niveau der Debatten zu heben sei das Ziel, so der Chefredakteur.

Trolle durchgerutscht

Die Frage, wie Nachrichtenseiten mit Leserkommentaren umgehen sollten, ist so etwas wie die Gretchenfrage unter den Onlinern. Die einen betrachten die Kommentare als wichtig für die Leserbindung: Sie erhöhen die Verweildauer der Nutzer – was gerade jetzt, da Verweildauer statt Klicks als Währung gegenüber Anzeigenkunden immer wichtiger wird, ein schwerwiegendes Argument ist – und liefern billigen Content. Andererseits ziehen die Anonymität im Netz und der Mangel an durchsetzungskräftigen Diskussionsleitern oft Verschwörungstheoretiker, Rassisten und Pöbler an.

ZeitOnline galt bisher zumindest unter den deutschen Nachrichtenseite als das vorbildlichste Beispiel für die Moderation der Kommentare. Community-Redakteure sichten dort alle Beiträge, kommentieren und löschen sie, wenn sie rassistisch, persönlich beleidigend oder unsachlich sind. Das Debattenteam von sueddeutsche.de moderierte bisher zwar auch die Kommentare, ließ aber aufgrund der Masse immer wieder Trolle und unqualifizierte Beiträge durchrutschen, schreibt Plöchinger in seinem Blog.

Noch stiefmütterlicher geht Spiegel Online mit Kommentaren um, dort finden sich oft die krudesten Beiträge unter den Artikeln.

Sueddeutsche.de ist nun das erste deutsche Medium, das so stark in die Leserkommentare eingreift. Die New York Times erprobt schon seit einiger Zeit ein ähnliches Konzept: Im „Room for debate“ stoßen externe Autoren von Montag bis Freitag Debatten zu aktuellen Themen an, die an die Leser weitergegeben werden. Sueddeutsche.de verzichtet auf externe Autoren, stellt dafür aber klare Fragen an seine Leser: „Wie sollte Deutschland sein politisches Gewicht in der Welt einsetzen?“, stand gestern zum Beispiel zur Beantwortung. Daneben auch der Rücktritt von Christine Haderthauer (CSU) und das Ende der Mitfahrer-App Uber. Bis zum frühen Nachmittag waren bei allen drei Themen rund 20 ausführliche Kommentare online. Stefan Plöchinger dürfte erst mal zufrieden sein.

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