Linke-Politikerinnen über internen Streit: „Sahra Wagenknecht schadet uns“

Die Vorsitzenden der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir, sprechen über den Zustand ihrer Partei.

Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir

Die Hamburger Linken-Chefinnen Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Özdemir, Frau Boeddinghaus – was erwarten Sie vom politischen Jahr 2019?

Sabine Boeddinghaus: Es wird eine harte politische Auseinandersetzung über die Frage geben, wie Hamburg sich weiterentwickelt. Wir als Linke werden unser soziales Profil schärfen in Richtung einer solidarischen Stadt für alle. Beim Thema Wohnen erwarten wir vom rot-grünen Senat mehr Bewegung, damit die Zahl der bezahlbaren Wohnungen deutlich steigt…

Da tut der Senat schon viel…

Boeddinghaus: Wohnen ist ein Grundrecht und es kann nicht sein, dass nur die Renditeerwartungen privater InvestorInnen darüber entscheiden, wie viele Sozialwohnungen entstehen. Es geht um bezahlbaren Wohnraum für alle. Gemeinnütziges, genossenschaftliches Wohnen muss mehr in den Mittelpunkt rücken – dann wird automatisch kostengünstiger gebaut, weil niemand Rendite abschöpft.

Cansu Özdemir: Noch immer fallen viel mehr Wohnungen aus der Sozialbindung, als neue hinzukommen. Durch den Drittelmix kann das nicht aufgeholt werden. Und wir müssen offensiv die Diskussion führen, wie hoch und wie dicht soll in Hamburg gebaut werden.

CDU und SPD sind im Bund wie in Hamburg auf Talfahrt, die anderen Parteien – vor allem die Grünen – profitieren von diesem Trend, nur die Linke stagniert.

Boeddinghaus: Wir sind in Hamburg seit Jahren stabil im zweistelligen Bereich. Dieser konstante Zuspruch zeigt uns, dass wir die richtigen Themen angehen. Aber wir fordern in vielen Bereichen der Gesellschaft ein konsequentes und grundsätzliches Umsteuern in Richtung einer solidarischen, sozial gerechten Gesellschaft. Ich befürchte, dass so ein grundsätzlicher Wandel bei vielen Menschen auch zu Verunsicherung führt. Es ist aber unsere Aufgabe immer wieder darauf hinzuweisen, dass Hamburg eine sozial extrem gespaltene Stadt ist. Das hören viele Leute nicht gern. Die Grünen können mit ihren glatteren Antworten und ihrem geschlosseneren Erscheinungsbild momentan leichter punkten.

Özdemir: Die Grünen profitieren natürlich von der Diskussion über den Klimawandel.

Sabine Boeddinghaus, 61, ist Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion.

Cansu Özdemir, 30, ist Fraktionsvorsitzende und sozialpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion.

Haben Sie die Umweltpolitik vernachlässigt?

Özdemir: Wir sind auf diesem Feld sehr aktiv. Aber das Problem ist, dass die Grünen mit Umweltpolitik viel stärker in Verbindung gebracht und von den Medien angefragt werden. Wir hingegen werden mit dem Thema soziale Gerechtigkeit am stärksten wahrgenommen.

Und stagnieren trotzdem.

Özdemir: Auf Bundesebene ist unsere Debatte zum Thema Migration von unüberhörbaren Differenzen geprägt, die uns schaden. Die Menschen mögen es aber nicht, wenn aus einer Partei Signale kommen, die in ganz unterschiedliche Richtungen weisen. Es ist wichtig, dass bei uns eine gewisse inhaltliche Geschlossenheit herrscht, sodass wir im Wahlkampf unsere Themen besser zur Geltung bringen können.

Fehlt der Partei das Selbstbewusstsein, sich Sahra Wagenknechts linkspopulistischen Thesen, die auch zentrale Forderungen der AFD aufnehmen, offensiv entgegenzustellen?

Boeddinghaus: Positionen, wie sie Sahra Wagenknecht in diesem Politikfeld vertritt, schaden uns deutlich. Wir sind mit der FlüchtlingshelferInnenszene gut vernetzt und bekommen von dort das deutliche Signal: Klärt erst mal eure Position in diesem Themenfeld. Flüchtlingspolitik ist in Hamburg eine zentrale Frage und da brauchen wir eine klare Haltung, auch um die AFD hier weiter kleinzuhalten.

Es gibt in Hamburg keinerlei Wechselstimmung. Die Wähler scheinen sich, mit Rot-Grün gut regiert zu fühlen.

Boeddinghaus: Es gibt zwar keine Wechselstimmung, aber die SPD verliert rapide. Und der Bürgermeister erkennt hierin nur einen Trend, aber keine inhaltlichen Gründe für den Absturz seiner Partei. Die SPD ist nicht mehr in der Auseinandersetzung mit den Menschen, die sich Hamburg wirklich nicht mehr leisten können. Sie wird sich dieses Themas annehmen müssen, will sie ihre Talfahrt stoppen.

Mit den Bezirks-, Europa- und Bürgerschaftswahlen haben Sie gleich drei Wahlkämpfe vor der Brust: Mit welchen Erwartungen starten Sie?

Özdemir: Wir wollen überall zulegen und mit personell starken Fraktionen in die Bezirke einziehen. Hier wird das Thema Wohnen und die soziale Infrastruktur eine wichtige Rolle spielen, weil da viel vor Ort entschieden wird. Da sind wir gut aufgestellt. Der Europawahlkampf wird sehr wichtig, weil Europa auseinander driftet, es in vielen europäischen Ländern einen deutlichen Rechtsruck gibt. Europa schließt die Grenzen, die Seenotrettung wird zunehmend kriminalisiert und immer mehr Geflüchtete ertrinken. Die Situation könnte nicht unsolidarischer sein. Da gilt es gegen zu halten.

Danach kommen die Bürgerschaftswahlen. Sie stehen als Spitzenkandidatinnen-Duo erneut zur Verfügung?

Özdemir: Wir werden zur Verfügung stehen, wenn die Partei es möchte.

Was muss passieren, damit die Linke nicht ewige Oppositionspartei bleibt?

Boeddinghaus: Wir haben in Hamburg einen Parteitagsbeschluss, dass wir Opposition bleiben.

Was also müsste sich verändern, damit Koalition zur Option würde?

Boeddinghaus: Es müssten sich die Inhalte und Absichten der SPD massiv und glaubhaft verändern. Wenn die SPD von sich aus bereit ist, die Armut in Hamburg offensiv zu bekämpfen und die soziale Spaltung zu überwinden, allen Menschen Teilhabe an Bildung und dem gesellschaftlichen Leben zu gewähren und dann noch auf uns zukäme, dann hätten wir sicher eine große innerparteiliche Debatte. Unter den jetzigen Bedingungen sehen wir keine inhaltlichen Anknüpfungs­punkte. Wir wirken seit Jahren aus der Opposition heraus und haben bei diversen Themen – wie dem Mindestlohn – von dort aus viel erreicht.

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