Literaturnobelpreis für Bob Dylan: Musik voller spektakulärer Magie

Bob Dylan war die Stimme der US-amerikanischen Gegenkultur. Seine Bedeutung geht weit über die Poesie seiner Songs hinaus.

Bob Dylan spielt Gitarre

Der Nobelpreis gilt dem Erneuerer des Folk, der sich spielend und singend als Teil der Hippiebewegung durchsetzen konnte Foto: dpa

BERLIN taz Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch den Frauen mit den Regenwetter-Gesichtern, dem Heimweh-Blues im Kellergeschoss, der Skyline von Nashville, die er in seinen Texten besungen hat.

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch der poetischen Sprache eines begnadeten Dichters und Komponisten, der scheinbar aus dem Halbdunkel der Existenz ergreifende Zeilen hinwirft wie „My name it is nothing / My age it is means less“; der seit jenem Song „With God on our side“ sein wahres Alter hinter der spektakulären Magie seiner Musik verbergen kann. Der ein unglaubliches Charisma hat, aber dennoch etwas Größeres in der Kunst des Folkssongs sieht als nur das Ego: die Schönheit der Musik.

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch der Kraft des seltsamen alten Amerika, der Folktales und Traditionals, die die Grenzen von Regionen, von Klassen und Ethnien, von Religionen und Zeitläufen überwunden haben. Deren Wurzeln ihm, dem Nobelpreisträger, Zuversicht und Inspiration gespendet haben; ihm, der eigentlich Robert Allen Zimmerman heißt und in der ländlichen Einöde von Minnesota aufgewachsen ist und in der intellektuellen Hochburg des New York der sechziger Jahre angeleitet wurde zu einer singulären Karriere in der Unterhaltungsindustrie.

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch seiner Nonkonformität. Bevor Bob Dylan am Horizont auftauchte, waren Popsänger angepasste Typen mit makellosem Aussehen und Ellbogenmentalität. Dylan dachte sich sein Image selbst aus, er trug schmutzige Fingernägel und die Haare waren strubbelig, er hatte die Hemden offen und er ließ diese Nachlässigkeit auf unscharfen Fotografien in Szene setzen. Er kämpfte, wenn es sein musste, gegen Management und Plattenfirma.

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch der kulturellen Leistung von Popmusik insgesamt. Einer Popmusik, die er, der „Song und Dance Man“, in stilbildendem Maße in den 60ern künstlerisch angeschoben und geformt hat und in den mehr als 65 Jahren seiner Laufbahn mit weit über 50 Alben, hunderten Songs und tausenden Konzerten mitgeprägt hat.

Gegen die Widerstände

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch seinen schicken, gedeckten Western-Anzügen und -Hemden, die er auf der Bühne trägt. Seiner näselnden, immer ein bisschen unbeteiligt wirkenden Singstimme, die manchmal bedenklich wackelt, aber immer ins Herz trifft. Seiner Bockbeinigkeit, niemals Ansagen zu machen, kaum je die Meinung zu äußern, außerhalb seiner Songs.

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch seiner elektrischen Gitarre und dem Verstärker, seinen Begleitmusikern und Backgroundsängerinnen, mit denen er, der Erneuerer des Folk, der Bilderstürmer, gegen die Widerstände von Puristen und Spießern, von Lordsiegelbewahrern und Hochkultur-Eiferern, sich spielend und singend als Teil der Hippiebewegung durchsetzen konnte.

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch seinen packenden Tagebüchern und den schlauen Beobachtungen, die er darin mit der Chuzpe eines Schriftstellers getätigt hat. Sie gilt dem demütig Weitermachenden, sie gilt dem an sich selbst Zweifelnden, der sich und seine Zeitgenossen eindrücklich beschreibt, dem beiläufigen „None of it seemed important“, den Wendungen der Liebe, den glücklichen Momenten und den Lebenslügen, den Niederlagen und den Übergriffen und dem Recht auf Privatsphäre, das Dylan nach seinem Motorradunfall 1966 für sein familiäres Umfeld durchgesetzt hat.

Nie langweilig oder reaktionär

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gilt auch den zweifelhaften Momenten seiner Karriere, den mittelmäßigen Alben, den uninspirierten Songs Mitte der siebziger Jahre und den Abstürzen nach Drogengeschichten, aus denen er irgendwie halbwegs unbeschadet wieder herausgefunden hat.

Diese Auszeichnung gilt Bob Dylan, aber sie gebührt auch der weltweit verstreut lebenden jüdischen Gemeinde, die ihn hervorgebracht hat. Sie gilt einem Menschen, der mit zunehmendem Alter nicht zu einem Langweiler oder Reaktionär geworden ist, der sich niemals für zweifelhafte politische Ideen einspannen lässt und seine Bestimmung als Singer-Songwriter gefunden hat.

Diese Auszeichnung gebührt Bob Dylan und nur Bob Dylan, aber wer weiß, am Ende müssen nach einer solchen oft in Erwägung gezogenen, aber dann immer wieder verworfenen Entscheidung in Zukunft auch die Grenzen der Literatur neu vermessen werden.

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