Machtkampf in Äthiopien: Reformer auf die Probe gestellt

Äthiopiens Zentralregierung wagt den Machtkampf mit der Somali-Regionalregierung. In der Hauptstadt Jigjiga kommt es zu Kämpfen.

Abiy Ahmed spricht in Mikrofone

Kein leichter Anfang für den neuen Regierungschef: Abiy Ahmed Foto: reuters

BERLIN taz | Äthiopiens Reformregierung unter dem neuen Premierminister Abiy Ahmed steht vor ihrer bisher schwersten Probe: einem militärischen Machtkampf mit einer der Teilstaatenregierungen des Landes. Tagelange Kämpfe hat es in Jigjiga gegeben, Hauptstadt der Somali-Region im Osten Äthiopiens, seit dort am Freitag die äthiopische Armee einrückte, um gegen die Somali-Regionalregierung und ihre gefürchtete Regionalpolizei „Liyu“ vorzugehen. Am Montag waren Gespräche im Gange.

Nach Berichten äthiopischer Medien hatten Soldaten der äthiopischen Armee am Freitag den Sitz von Somali-Premierminister Abdi Mohomud Omar, genannt Abdi Illey, in Jigjiga umstellt und wollten den starken Mann der Somali-Region sowie Mitglieder seiner Regierung festsetzen, „um weiteres Blutvergießen zu verhindern“, wie die unabhängige Zeitung Addis Standard unter Berufung auf äthiopische Regierungskreise meldete. Sie mussten sich zunächst zurückziehen, als Tausende Angehörige der somalischen Liyu-Regionalpolizei aus dem Umland in die Hauptstadt strömten und Unruhen ausbrachen. Dabei wurden unter anderem sieben Kirchengebäude der orthodoxen äthiopischen Kirche zerstört.

Die Somali-Region, historisch als Ogaden bekannt, ist entscheidend für Äthiopiens Vormachtstellung am Horn von Afrika. Erst im 19. Jahrhundert von Äthiopien erobert, wird sie von manchen Somalis als widerrechtlich besetzt angesehen, da sie vorher unabhängiges Ogaden-Clangebiet war; Somalia und Äthiopien führten in den 1970er Jahren zwei Kriege um die unwirtliche Ogaden-Wüste. Abdi Illey regiert die Somali-Region seit 2010 mit harter Hand. Zuvor war er dort Sicherheitschef. Er baute die paramilitärische Regionalpolizei Liyu auf, zum Kampf gegen mutmaßliche Islamisten und Separatisten der Ogaden National Liberation Front (ONLF). Human Rights Watch warf der Liyu-Polizei und der Somali-Regionalregierung im Mai schwere Menschenrechtsverletzungen vor, etwa Folter in Gefängnissen.

Die Somali-Region ist entscheidend für Äthiopiens Vormachtstellung am Horn von Afrika

Als Teil ihres Feldzuges sind Liyu-Einheiten im Jahr 2017 auch in die westlich angrenzende Oromo-Region eingedrungen und haben dort Tausende von Menschen in die Flucht getrieben. In einer Zeit, in der Äthiopiens damalige Regierung mit einem Oromo-Volksaufstand konfrontiert war, werteten das viele Beobachter als bewusste Provokation der herrschenden militärischen Machtelite. Es war klar, dass Abdi Illey keine Protektion von oben mehr genießen würde, als im April 2018 mit dem jungen Oromo-Politiker Abiy Ahmed ein Reformer Premierminister von Äthiopien wurde, der sich mit der Oromo-Opposition und dem Erzfeind Eritrea versöhnt, politische Gefangene freigelassen und Exilanten zurückgeholt hat.

Ist ein Bürgerkrieg zu verhindern?

Was genau den Einmarsch in Jigjiga provoziert hat, ist unklar. Mehrfach ist davon die Rede gewesen, dass die Somali-Regionalregierung den Artikel 39 der äthiopischen Verfassung aktivieren wolle, der jeder Region Äthiopiens das Recht auf Selbstbestimmung und Sezession gewährt. Einigen Berichten zufolge kam Äthiopiens Armee mit ihrem Eingreifen einem entsprechenden Beschluss der Regionalregierung zuvor.

Videos in sozialen Netzwerken zeigen junge Demonstranten in Jigjiga, die Somalias Nationalhymne singen. Die Frage ist nun, ob Äthiopiens Premier Abiy verhindern kann, dass die von seinen Vorgängern hochgerüsteten Somali-Sicherheitskräfte Äthiopien in den Bürgerkrieg treiben. Aus mehreren Städten der Somali-Region werden Ausschreitungen gegen ethnische Nicht-Somalis gemeldet. Mehrere Hundert Fliehende haben bereits die benachbarte Republik Somaliland erreicht.

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