Malische Flüchtlinge in Burkina Faso: Angst vor dem eigenen Land

Nachts ist Hussaini Abdou aus Mali im Flüchtlingscamp, tagsüber betreibt er einen Stoffladen in der Stadt. Auf Kunden wartet er meist vergeblich.

Ein Mann mit einem Kopftuch sitzt vor einem Baum in einer Steppe, rechts im bild ein Motorrad

Einer von vielen: Geflüchteter Tuareg aus Mali in Burkina Faso Foto: dpa

DJIBO taz | Hussaini Abdou lässt den Blick prüfend durch sein winziges Geschäft schweifen. Neun Quadratmeter hat der Laden, und jeder Zentimeter ist ausgenutzt. An drei Wänden stehen grob gezimmerte Holzregale, die bis unter die Decke reichen. Auf den Brettern stapeln sich Ballen mit farbenfrohen Stoffen. „Das tragen unsere Frauen“, sagt Abdou und zieht aus einem Fach einige groß gemusterte Stoffe mit Blumen, Streifen und Sternen heraus. Die Farben sind leuchtend und kräftig; die Stoffe fein gewebt, fließend und leicht.

Es sind die Stoffe der Tuareg. Sie unterscheiden sich von den festen Baumwollstoffen, die aus Europa kommen und als „Pagnes“ überall in Westafrika das wichtigste weibliche Kleidungsstück überhaupt bilden. „Dieser hier sieht doch besonders gut aus“, sagt der 27-Jährige und kramt mehrere Meter in Blau und Orange hervor. Der Stoff ist mit feinen Silberstreifen durchzogen.

Auch Hussaini Abdou ist Tuareg, 27 Jahre alt, er trägt einen braunen Anzug, der eine Maßanfertigung ist. Gern würde er noch viel mehr Stoffe ausbreiten. Er lächelt und nickt aufmunternd, als hätte er eine Kundin vor sich, die sich nicht entscheiden mag. Doch Kundschaft ist rar, obwohl Abdous kleiner Laden mitten auf dem Marktplatz von Djibo liegt.

Vor dem Geschäft trinken drei seiner Freunde den bitteren Kräutertee, der nur mit viel Zucker und sehr heiß zu genießen ist. Niemand kommt, um einzukaufen. „Djibo ist arm. Die Leute haben nichts“, seufzt der junge Mann und fängt an, die Ware wieder einzuräumen. Doch eine andere Wahl hat er nicht. Im Norden seines Heimatlands Mali herrschen kriegsähnliche Zustände. Deshalb lebt Hussaini Abdou als Flüchtling in Burkina Faso.

Bis heute führt nach Djibo, immerhin die Hauptstadt der Provinz Soum im Nordwesten Burkina Fasos, nahe der Grenze zu Mali, nur eine holprige Piste. Während der Regenzeit verwandelt sie sich in ein Schlammloch. Im August kam Premierminister Paul Kaba Thiéba zu Besuch und sagte den Ausbau der Straße zu. Ein Großereignis für Djibo. Dass die Baumaschinen, die der Premier zu Demonstrationszwecken mitbrachte, längst wieder abgerückt sind, davon redet heute niemand.

Hilfsorganisationen sind abgezogen

In die Schlagzeilen rückt Djibo mittlerweile aus einem anderen Grund: Auch Burkina Faso, das einst im Vergleich zu den Nachbarstaaten Mali und Niger so stabile Land, wird für Terroristen und Islamisten immer attraktiver. „Mittlerweile leben auch wir in der roten Zone“, sagt Djibrilou Tamboura, der 35 Jahre für die burkinische Armee gearbeitet. Rote Zone bedeutet, dass sich die schlechte Sicherheitslage auf malischer Seite auch auf Burkina Faso auswirkt. Im Januar wurde in Djibo ein australisches Paar entführt, das dort jahrzehntelang ein Krankenhaus mit 120 Betten betrieben hatte. Botschaften warnen vor Reisen in die Region. Hilfsorganisationen sind abgezogen, weil es für die Flüchtlinge kein Geld mehr gibt – und wegen der allgemeinen Unsicherheit.

Hussaini Abdou hat sich Djibo nicht aus freien Stücken ausgesucht. Doch die Lage in seiner Heimat ist noch prekärer. Er stammt aus der historischen Stadt Timbuktu, die eine Zeitlang von Islamisten besetzt war. Sie legten den Islam besonders streng aus, warfen den Bewohnern Götzenverehrung vor und zerstörten Mausoleen und die Tür der Sidi-Yahia-Moschee. Timbuktu ist seit 1988 Teil des Unesco-Weltkulturerbes.

Aus Timbuktu geflohen

Seitdem Abdou vor drei Jahren seine Heimatstadt in Richtung Djibo verlassen hat, war er nicht mehr dort. „Wir haben Angst vor unserem eigenen Land“, lacht er fassungslos auf. In den Jahren 2012 und 2013 sind mehr als 200.000 Menschen aus dem Norden Malis geflohen. Die Krise hatte im Jahr 2011 begonnen, als die „Nationalbewegung für die Befreiung des Azawad“ (MNLA) für mehr Autonomie der Tuareg und gegen die malische Armee kämpfte. Im März 2012 führte das politische Chaos schließlich zum Putsch gegen den damaligen Präsidenten Malis, Amadou Toumani Touré. Doch im Norden Malis übernahm nicht etwa das Militär die Macht, sondern mehrere islamistische Gruppierungen begannen dort eine Art Krieg – untereinander, gegen die Regierung, gegen die Bevölkerung. Sie wurden zwar im Januar 2013 von der französischen Armee vorerst vertrieben, sind aber bis heute nicht besiegt.

„Wir haben Krieg in der Heimat“, stellt Abdou fast beiläufig fest und lässt sich endgültig bei seinen Freunden nieder. Er hat sich daran gewöhnt, dass es niemand hören will.

Wer mit 15 oder 20 Rindern

aus Mali kam, besitzt heute

noch drei oder vier

Wie 12.000 andere Landsleute ist auch er in Djibo gestrandet. Abends fährt Abdou nach Mentao, zwölf Kilometer außerhalb der Stadt, wo er im größten Flüchtlingscamp des Landes untergebracht ist. In Burkina Faso gibt es nach Einschätzung des Flüchtlingshilfswerks UNHCR noch immer 32.000 Flüchtlinge aus Mali, fast alle sind Tuareg. Insgesamt haben mehr als 134.000 Malier ihr Land verlassen, die meisten von ihnen leben in Mauretanien.

Einfach nur da sitzen und abwarten, das wollte Hussaini Abdou nicht. Seine Familie hat immer schon mit Stoffen gehandelt. Mit dem Geld, das er anfangs dabei hatte, baute er sich den kleinen Laden auf. Einige Stoffe hatte er schon während der Flucht mitgeschleppt, andere in der Hauptstadt Ouagadougou erworben. Burkina Faso, das sollte nur für kurze Zeit sein. Ein paar Wochen, vielleicht einige Monate. „Es hieß immer: Morgen gehen wir zurück“, sagt Abdou. Wohlhabende Tuareg mieteten anfangs sogar Häuser und zogen nicht nach Mentao in ein Zelt; sehr zum Unmut mancher Einheimischer. Die Malier haben die Preise verdorben, sagen diese. Sie würden nicht handeln können – oder hätten es auch gar nicht nötig.

Doch das Vermögen selbst der wohlhabenden Flüchtlinge schrumpft, je länger sie bleiben. Wer mit 15 oder 20 Rindern gekommen ist, besitzt heute noch drei oder vier. Der Rest der Herde ist gestorben oder musste verkauft werden. Viele Tuareg sind Viehhalter und haben die Tiere stets als Sparbuch betrachtet. Das haben die meisten längst geplündert.

In Djibo wissen nur wenige Burkinabé, wie es den Maliern geht. Auf dem Markt nimmt man sie wahr, doch viele Berührungspunkte gibt es nicht. „Die Tuareg?“, fragt ein Gemüsehändler, der unter einem großen Schirm Zwiebeln und Auberginen anbietet. Einige hätten Verkaufsstände oder Läden eröffnet. Mehr wisse er nicht, sagt er schulterzuckend, und es interessiere ihn auch nicht. „Ich war auch noch nie in Mentao. Was soll ich auch dort?“ Die Flüchtlinge sind geduldet, ein Miteinander gibt es nicht.

Rote Zone

„Ich sage ja nicht, dass die Region wegen der Flüchtlinge eine rote Zone geworden ist“, beeilt sich Djibrilou Tamboura zu sagen. Er muss gegen den Kinderlärm ansprechen. „Es gibt gute wie schlechte. Bei uns Burkinabé ist das nicht anders.“

Tamboura ärgert sich vor allem über die Sicherheitskräfte im Nachbarland, die seit Jahren nicht in der Lage seien, für Ordnung zu sorgen. Dabei hat ausgerechnet in Mali die UN-Friedenssicherungstruppe Minusma ihr Personal aufgestockt. 15.000 internationale Soldaten sind vor Ort. Die EU-Trainingsmission (EUTM) hat seit April 2013 mehr als 8.000 malische Soldaten ausgebildet.

Doch weder der Norden noch die Grenzen zu den Nachbarländern sind dadurch sicherer geworden. Mali wird zum sprichwörtlichen Pulverfass für die ganze Region. Ein Anschlag in Markoye an der Grenze zum Niger soll beispielsweise Anfang September auf das Konto des „Islamischen Staats“ gegangen sein. Weitere könnten folgen.

Auf dem Markt hockt Hussaini Abdou mit seinen Freunden zusammen. Die nächste Runde Tee ist zubereitet. Die jungen Männer sprechen Tamaschek miteinander, das die burkinischen Händler nicht verstehen. Abdou versucht zum letzten Mal sein Glück und zeigt auf die viele Meter langen Stoffbahnen in Blau, Dunkelgrün, Braun und Schwarz. „Turbanstoff“, sagt er. Gezahlt wird pro Meter. Doch auch für dieses Material findet er keine Abnehmer.

Abdous Leben steht still, und es ist doch die bessere Alternative für ihn, als nach Mali zurückzukehren. „Die Islamisten bei uns zu Hause sind die Gefährlichsten“, gibt Hussaini Abdou das wider, was ihm Freunde und Verwandte berichten. Sie gelten als brutal und unberechenbar. Viele würden aus Algerien stammen. Doch die Grenzen sind fließend. Längst haben sich bewaffnete Banditen unter sie gemischt, die sich kaum von den Islamisten unterscheiden und die unsichere Lage ausnutzen. „Sie errichten Straßensperren und rauben dich aus. Ich möchte nicht auch noch das letzte Geld, das ich besitze, verlieren“, klagt Abdou.

Als er wieder ein volles Teegläschen in der Hand hält, grinst er schief. „Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann das: Dass sich Mali versöhnt.“ Auf die Frage, wie realistisch das ist, zuckt Hussaini Abdou mit den Achseln und schaut auf den Boden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.