Mann am Kottbusser Tor erschossen: Motiv im Dunkeln

Der am Wochenende erschossene Kadir D. sei Streitschlichter gewesen, sagen Freunde. Die Geschichte habe nichts mit dem Drogenhandel zu tun.

Polizei sperrt Kottbusser Tor ab.

Rosen, Sonnenblumen und Lilien stecken im Zaun. „Deine Ruhestätte möge der Himmel sein“, hat jemand auf Türkisch auf eine Pappe geschrieben. Daneben ein Foto des getöteten Kadir D. Davor, auf dem Boden, ein Blumenmeer. Der 32-Jährige wurde Samstagnacht in einer Fußgängerpassage der Adalbertstraße am Kottbusser Tor in Kreuzberg niedergeschossen. Im Krankenhaus starb er.

Im Laufe des Montags werden die Blumen vor dem Zaun immer mehr. Menschen stehen davor. Zwei Frauen liegen sich in den Armen und weinen. Eine ist die Schwester von Kadir D. „Das war ein Kreuzberger Junge“, sagt der Sozialarbeiter Ercan Yasaroglu, der im Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) das Cafe Kotti betreibt. Die in Zeitungen geäußerte Vermutung, der Getötete sei in den Drogenhandel verstrickt gewesen, ärgert ihn. „Diese Geschichte hat nichts mit dem Drogenhandel zu tun“, ist sich Yasaroglu sicher.

Die Nachricht von dem Todesfall am Kottbusser Tor ließ aus gutem Grund aufhorchen. Von 2014 auf 2015 haben sich die Anzeigen wegen Diebstahls dort mehr als verdoppelt, auch Raub und Körperverletzungen haben stark zugenommen. Die Polizei hatte ihre Streifen daraufhin verstärkt. Im ersten Halbjahr 2016 stiegen die Anzeigen weiter. Rockerbanden wie die Hells Angels sollen im Drogenhandel mitmischen.

Nach Angaben der Polizei hatten Zeugen am Samstag gegen 22 Uhr mehrere Schüsse gehört und einen Mann davonrennen sehen. Dem Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, zufolge wird jetzt nach einem 22-jährigen Verdächtigen gefahndet. Der mutmaßliche Schütze sei als Intensivtäter bekannt. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die Tat etwas mit dem Rockermilieu zu tun habe, betonte Steltner.

Zwei Mitglieder einer Rockerbande seien zwar ganz in der Nähe des Tatorts gesehen worden, auch ihre Motorräder hätten dort gestanden. Zeitungsberichten zufolge soll es sich um Mitglieder der Hells Angels Türkiye Nomad gehandelt haben. Steltner selbst machte dazu keine Angaben. Einer der beiden Rocker habe mit Kadir D. „einen eher harmlosen Disput“ gehabt, so Steltner weiter. Da sei der 22-Jährige als Dritter hinzugekommen und habe geschossen. „Der Tote hatte keinen Rockerbezug und der Flüchtige war auch kein Rocker.“ Warum es in dem Streit ging und ob Drogenhandel eine Rolle gespielt habe, konnte der Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht sagen. „Aber irgendwas wird schon gewesen sein.“

Auch Kadir D. war für die Polizei kein unbeschriebenes Blatt. In seiner Jugend war er Mitglied der Kreuzberger Jugendbande 36 Boys. Danach habe sich D. als Streitschlichter betätigt, erzählt ein älterer Mann, der bei den Blumen steht. „Er ist mit meinem Sohn aufgewachsen, ich kenne ihn gut.“ Jeder Jugendliche im Kiez habe D. gekannt, bestätigt Café-Kotti-Betreiber Yasaroglu. „Dass einer wie er an die Vernunft appelliert, hat die Jungs beeindruckt.“ Aber auch der 22-jährige flüchtige Täter sei „ein Junge aus Kreuzberg“, weiß Yasaroglu. „Dass Kreuzberger Kreuzberger umbringen, ist traurig“, so Yasaroglu. „Aber das kann überall passieren.“

Monika Herrmann, Bürgermeisterin des Bezirks, findet – mit Verweis auf „die hochorganisierte Kriminalität“ am Kotti –, dass die Polizei dort nicht genug tut. „Jetzt haben wir einen Toten“, so Herrmann am Montag zur taz. „Hoffentlich nimmt die Polizei das ernst.“

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