Mark Ernestus über den Senegal-Sound: „Musikalisch auf einem Nenner“

Der Berliner Technoproduzent Mark Ernestus hat in Dakar ein Album mit lokalen Musikern aufgenommen. Der Rhythmus des Mbalax geht ihm nicht mehr aus dem Kopf.

„Livemusik hat in Senegal einen erheblich größeren Stellenwert als bei uns.“ Bild: Promo

taz: Im Senegal hat 2012 eine Protestbewegung für mehr Demokratie demonstriert. Haben Sie von ihr etwas mitbekommen, als Sie nach Dakar gereist sind?

Mark Ernestus: Also, eine meiner Reisen war, genau ein paar Tage nachdem die ersten Demonstrationen eskaliert waren. In Dakar standen an großen Kreuzungen Mannschaftswagen mit ziemlich gelangweilten Polizisten. Alle haben bei jeder Gelegenheit heftig diskutiert, aber der friedliche Alltag ging mit der üblichen Intensität seinen Gang.

Wussten Sie, dass im Senegal die Drums ursprünglich entstanden sind? Es ist ein mythischer Ort der Musik.

Mein Interesse ist nicht musikhistorisch motiviert, aber der Stellenwert im Alltag, den Musik dort hat, ist natürlich beeindruckend.

Wie haben Sie zum ersten Mal von Mbalax-Musik erfahren?

Ich habe auf einem Festival 2008 zusammen mit Tikiman gespielt. Vor uns hat ein DJ-Team von in Kopenhagen lebenden Gambier hauptsächlich Mbalax gespielt, da habe ich eine gute Dosis abgekriegt, mir das ganze Set angehört, die Rhythmen gingen mir danach nicht mehr aus dem Kopf.

Laden: Mark Ernestus (geboren 1963) lebt seit 1983 in Berlin. 1989 eröffnete er in Kreuzberg „Hard Wax“, einen Plattenladen für Techno und House. Er legte die Grundlage für die Entwicklung von elektronischer Clubmusik in Berlin und wurde zur Anlaufstelle für Künstler aus den USA und England.

Produktion: Mitte der neunziger Jahre begann Ernestus zusammen mit Moritz von Oswald dubbigen House und Technoaufeigenen Labels zu produzieren und wurde damit weltberühmt. Bald inkorporierten sie Klangdesign aus Dancehall und Reggae. Inzwischen produziert Ernestus allein.

Album: Mark Ernestus presents Jeri-Jeri: „800% Ndagga“ und „Ndagga Versions“ (Ndagga/Indigo).

Konzerte: Mark Ernestus presents Jeri-Jeri Mittwoch, 12. Juni, Düsseldorf, „Kit Cafe“; Donnerstag, 13. Juni, Berlin, „Festsaal X-Berg“; Freitag, 14. Juni, Niederstetten „Kult“.

Allgemein ist die populäre Musik im Senegal heute HipHop. Welchen Stellenwert genießt Mbalax?

Senegalesischer HipHop ist sicher sehr groß bei Leuten unter 25, aber quer durch die Gesellschaft mit allen Altersgruppen ist nach meinem Eindruck Mbalax nach wie vor deutlich am weitesten verbreitet.

Mbalax ist forcierte Musik, aber Ihnen ist die Gitarre das Signalinstrument, sehr upbeat, eine klassische Rhythmusgitarre.

Nach meinem Empfinden ist die Gitarre eigentlich recht zurückgenommen oder integriert. Das war mir bei den Aufnahmen wichtig, dass sie immer rhythmisch oder perkussiv gespielt wird, nicht zu melodisch und bitte ohne virtuose Soloparts.

War das für Sie eine Umstellung von der Produktionsweise her?

Ja, das war eine ziemlich neue Erfahrung, ich habe eine Menge gelernt dabei. Es waren bei den Aufnahmen meistens um die 20 Musiker im Studio. Bisher kannte ich nur die Situation, mit einem Sänger oder Gastmusiker im Studio zu sein, wenn überhaupt. Das ist ein extrem anderes Arbeiten. Auch die klangliche und rhythmische Dichte war eine Herausforderung, besonders beim Mischen.

Wie haben Sie sich verständigt?

Einige Musiker sprechen ein bisschen Englisch, damit mussten wir klarkommen. Auf zwei Reisen war mein Kollege Abdoulaye Diack dabei. Er lebt schon seit 20 Jahren in Deutschland, und über ihn habe ich Bakane Seck und damit die anderen getroffen.

Diack spricht fließend Deutsch, Englisch und natürlich Wolof und Französisch – und Serer. Und, was vielleicht noch wichtiger ist, er kann nicht nur die Sprache übersetzen, sondern er kennt beide Kulturen sehr intim. Und er war früher Tänzer und hatte schon dadurch mit vielen Trommlern zu tun.

Es gibt auf Ihrer Homepage Videoclips von Tänzern zu sehen, die sich zur Musik bewegen. Waren die im Studio anwesend?

Teilweise waren die Tänzer dabei, aber dann nicht als Tänzer, sondern weil sie auch persönlich einfach zur Familie gehören. Bei den Aufnahmen und beim Mischen denke ich nicht an Tänzer, aber das ist natürlich im dortigen Kontext nicht voneinander zu trennen. Da gibt es eine enge Wechselwirkung zwischen Tänzern und Trommlern.

Wussten die senegalesischen Musiker über Ihren Hintergrund Bescheid?

Nein, nicht im Entferntesten. Ich habe ein paar CDs mitgebracht von früheren Produktionen, aber ich bin gar nicht mal sicher, ob sich die jemand angehört hat. Aufgenommene Musik spielt im Senegal generell eine viel geringere Rolle als bei uns, und wenn, dann eher aus Radio oder Fernsehen. Mein Hintergrund ist aufgenommene Musik, ich habe nie ein Instrument gelernt, mein Zugang zur Musik kommt über das Plattenhören.

Und dort ist es so ziemlich das Gegenteil. Die Trommler, Tänzer und Sänger kommen typischerweise aus Griot-Familien. Das ist seit zig Generationen so, sie werden schon als Trommler geboren. Die Musiker, die Keyboards und andere Instrumente spielen, sind öfter aus eher im europäischen Sinne gebildeteren Nicht-Griot-Familien.

Also, Musik ist etwas, was man selber spielt beziehungsweise trommelt. Man hört sie auch im Taxi oder im Fernsehen. Aber ganz klar, Livemusik hat da einen erheblich größeren Stellenwert als bei uns. Auch was die Clubs in Dakar angeht.

Youssou N’Dour führt zum Beispiel einen, nicht wahr?

Ja, ihm gehört das Thiossane. Es gibt große Clubs, Live-Venues und kleinere Clubs in Dakar. Selbst in den kleineren Clubs spielen etwa an einem Dienstagabend durchaus Leute, die dort gerade Nummer eins sind. Ich muss da manchmal schmunzeln: Wenn hier in Europa ein größerer Act spielt, will der Veranstalter davor und danach mindestens einen Monat Exklusivität haben.

Das ist in Dakar völlig anders, da spielen die Topleute während einer Woche in drei verschiedenen Clubs, mal vor 50, mal 1.000 Zuschauern. Aufgenommene Musik ist da eigentlich auch etwas anderes. Es gibt ein Format namens Soirée Senegalese, da macht der DJ Vorprogramm, danach kommen Trommler.

Produzieren hat mit Psychologie zu tun, man muss Vertrauen entwickeln.

Ja, das war ein Versuch mit Risiko. Aber es hat sich schon bei der ersten Session sehr schnell aufgelöst, und ich habe nach wenigen Momenten gemerkt, dass es gut läuft. Wenn ich etwas kommentiert habe oder Vorgaben gemacht habe, konnten die Musiker meistens auch etwas damit anfangen, oft hat es sie sogar beflügelt. Wir kamen musikalisch auf einen Nenner, das war ein gutes Gefühl.

Warum haben Sie sich aus den Popzusammenhängen der elektronischen Popmusik mehr in Richtung Folkmusik bewegt?

Pop ist für mich ein schlimmes Wort. Ich sehe mich auch eigentlich nicht als Popschaffenden.

In Ihrem Plattenladen Hard Wax in Berlin bieten Sie doch Popmusik feil.

Ja? Okay. Natürlich lassen sich manche Sachen unter dem Namen Pop verstehen. Für mich ist der Begriff aber belastet. Natürlich lässt sich darunter viel subsumieren, Pop nach meinem Begriff ist aber etwas, was ich versuche zu vermeiden.

Warum finden Sie den Überbegriff Pop hinderlich?

Es wird jetzt grundsätzlich: Natürlich es ist schade, dass bestimmte Themen nicht von mehr Leuten wahrgenommen werden, aber die Lösung dafür kann nur sein, dass mehr Leute verstehen, dass Musik, die sie in Massenmedien präsentiert bekommen, zunächst mal nicht besonders gut ist, sondern dass dahinter besonders starke kommerzielle Interessen stehen. Gute Musik kommt in Massenmedien meist nicht vor. Der Prophet muss sich schon zum Berg bewegen, nicht der Berg zum Propheten.

Die Berliner begegnen den Techno-Touristen allgemein eher hochnäsig und mit Vorurteilen. Wie war es für Sie in Dakar, waren Sie da auf die Hilfe von Senegalesen angewiesen?

Als Tourist habe ich mich da nie gefühlt, weil ich von Anfang an mit Einheimischen unterwegs war. Und ich kann sagen, dass von den Orten, die ich musikbedingt über die Jahre besucht habe, wo selten Weiße hinkommen, ich mich im Senegal am normalsten aufgenommen gefühlt habe.

Wie sehr hat Berlin mit Ihrer Musikgenese zu tun?

Ich bin Anfang der Achtziger sehr bewusst zurück nach Berlin gezogen und wollte seitdem nie an einem anderen Ort leben. Insofern kann ich meine Entwicklung unmöglich von der Stadt trennen.

Woher kommt Ihre Skepsis, dieses Bedürfnis, im Hintergrund zu bleiben?

Ich finde, die Frage steht auf dem Kopf – warum sollte es anders sein? Das ist für mich hoffnungslos pervertiertes Popdenken, wenn es schon als erklärungsbedürftig gesehen wird, dass allein die Musik im Vordergrund stehen soll.

Aber Pop hat mit Image zu tun. Man könnte ja auch einwenden, Ihr zwanghaftes Im-Hintergrund-Bleiben ist auch eine Art Strategie.

Wer darauf fixiert ist, ein Image zu erkennen, wird natürlich dessen Abwesenheit zum Anti-Image erklären, das kann man nicht vermeiden. Ich sehe das ganz einfach: Es sollte reichen, wenn man Musik macht, und man sollte nicht erklären müssen, warum man diese ganze Popscheiße nicht bedienen will.

Gleichzeitig muss ich natürlich die Realität zur Kenntnis nehmen, dass man nicht auf Dauer anonym bleiben kann oder dass es irgendwann als Masche gedeutet wird. Dann kommt der Punkt, an dem es für mich albern wäre, das weiter durchziehen zu wollen. Dann kann ich nur den Umgang mit Medien normalisieren. Das heißt noch lange nicht, dass es mir Spaß macht – ich versuche eine Balance zu finden.

Techno und House sind sehr gegenwartsfixiert. Wie kam dieser Schwenk zur Musikgeschichte, abseits vom Tagesgeschäft?

Ich würde Ihrer Wahrnehmung widersprechen. Klar – es gab bei Hard Wax auch Platten, da wusstest du, alle drehen durch, aber in ein paar Wochen ist es abgegessen. Aber es gab und gibt im House und Techno immer auch Sachen, die sind für die Ewigkeit gedacht.

Sehen Sie Ihre Karriere als House-Produzent als abgeschlossen an?

Überhaupt nicht. Es geht mir oft durch den Kopf. Aber, es ist die Sache, die immer hinten runterfällt, da viel anderes zu tun ist. Mit so einem Projekt ist man immer in einem ziemlichen Netz von Verpflichtungen oder Zugzwängen.

Etwa Remixe machen mit Deadline. Von meinen anderen Baustellen ganz zu schweigen – Hard Wax, Wax Treatment und so weiter. Da kommt einfach nie der ruhige Tag, an dem ich mich mal ins Studio setze, um allein an rein elektronischen Sachen zu arbeiten. Ich habe dieses Kapitel keineswegs beendet.

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