Mediale Selbstkritik: Raus aus dem Jammertal!

Eine Katastrophe nach der anderen: Wir stellen täglich fest, was alles schief läuft auf der Welt und hier im Land. Aber das allein macht’s auch nicht besser.

Dem Jammern den Kampf ansagen? Der Mops zumindest ist bereit Bild: dpa

von LUKAS WALLRAFF

Die Welt ist aus den Fugen, Europa steht vor dem Zerfall. Gefährliche Zeiten sind das. Auch Deutschland erscheint tief gespalten. Und wer an Schulz glaubt, der wird selig. – Fällt Ihnen etwas auf? Das ist der Sound, der die taz und viele Medien seit vielen Jahren durchzieht. Ein Sound, bei dem auch ich oft mitsumme, als Schwerpunktplaner und Titelseitenmacher der taz. Es ist ein Sound, der nur eine Frage offen lässt: ob gerade vieles schiefläuft oder alles.

Muss das wirklich sein? Die Welt war noch nie ganz dicht. Es gab auch vor Trump durchgeknallte Präsidenten. Und dass es Menschen aus unsicheren Weltregionen plötzlich wagen persönlich bei uns aufzukreuzen, heißt nicht, dass es vorher keine unsicheren Weltregionen gab. Nicht nur die Welt hat sich verändert, sondern auch unser Blick auf sie – und der auf Europa, das noch lange nicht zerbrechen muss, nur weil ein paar Insulaner austreten, die eh nie ganz dazugehören wollten.

Sich nicht selbst verrückt machen

Noch absurder: Wer von einem polarisierten Deutschland redet, schon wenn die AfD um die 10 Prozent erreicht, betreibt unfreiwillig das Geschäft der rechten Panikmacher, die genau diesen Eindruck schüren wollen. Demokratie – ein Auslaufmodell? Wegen 10 bis 15 Prozent? Machen wir uns doch nicht selbst verrückt.

Ein Kollege, der auf der taz.meinland-Tour viel durch die Republik gereist ist, hat berichtet, er sei immer wieder positiv überrascht. Denn, siehe da: Viele BürgerInnen engagieren sich, tun was für ihre Nächsten, und ja, auch in sogenannten Pro­blem­bezirken und abgeschriebenen Regionen gibt es wirtschaftliche Erfolgsgeschichten und viele dort genießen das Leben. Unglaublich! Warum wundert uns das? Was haben wir nur gedacht?

Auch ich war beim letzten Griechenlandurlaub fast erstaunt, dass dort tatsächlich noch die Sonne schien und Menschen lachten. Nach all der Griechen-Krisen-Berichterstattung hatte ich das schöne Land nur noch mit Untergangsszenarien assoziiert. Wie so viele andere Länder. Woran liegt das und wem nützt das?

Das Problem der Themenwahl

In vielen Redaktionen, auch in der taz, werden Themen oft danach gewichtet, wo es mehr Probleme, mehr Versager und mehr Tote gibt. Das entspringt dem ehrenwerten journalistischen Ansatz, die Mächtigen zu kritisieren und Missstände anzuprangern. Gewiss, dafür ist die taz gegründet worden. Und natürlich finden sich dafür immer viele Anlässe. Aber die proletarischen Massen haben wir so bisher leider auch nicht erreicht.

Das Problem ist jedoch nicht unsere Auflage, sondern das Gesamtergebnis der journalistischen Themenauswahl in den meisten Medien: Die Welt wirkt so noch schlechter als sie ist. Das kann gefährlich werden. Sicher, es mag Menschen geben, die so starke Nerven haben, in so stabilen Verhältnissen leben, dass sie den kontinuierlichen Konsum von Schreckensmeldungen ohne bleibende Schäden ertragen können. Und die sich anschließend aufraffen, aktiv die Welt zu verbessern.

Aber wie viele sind das? Und bei wie vielen Menschen bewirken all die Negativnachrichten vor allem: Angst, Resignation oder die Suche nach populistischen Rettern aus der gefühlten Not?

Es ist doch absurd, dass ausgerechnet im reichen Mittel- und Nordeuropa immer mehr Menschen glauben, ihre Welt gehe unter. Die deshalb nicht mehr sagen: Das ist mein Land, dessen demokratische Errungenschaften ich schätze. Sondern: Das ist ein krankes System, das es zu stürzen gilt.

Mehr Aufmerksamtkeit für Flüchtlingshelfer statt AfD

Vielleicht hat es ja doch etwas mit uns zu tun. Natürlich ist es keine Lösung, nun alles schönzureden, geschweige denn zu lügen. Aber etwas konstruktiver könnten wir schon werden. Wir sollten neben der Schilderung der Kriege, Krisen und Katastrophen öfter auch versuchen, selbst Vorschläge zu machen, wie ein Problem behoben werden könnte. Oder auch mal schildern, wie die letzte Krise bewältigt wurde.

Zu oft geben wir uns mit der Beschreibung des aktuellsten Elends zufrieden und lassen die LeserInnen mit schlechtem Gewissen oder wütend, aber im Grunde ratlos zurück. Wir werden uns gegen die rechten Systemgegner schwertun, wenn wir selbst hauptsächlich mit den Mängeln unseres Staats und der internationalen Institutionen hadern.

Warum zum Beispiel war der Ausbruch der Ebola-Seuche in Afrika überall ein Riesenthema, aber ihre Eindämmung nur eine Rand­notiz, obwohl man damit vielleicht eine Erfolgsgeschichte der internationalen Zusammenarbeit erzählen könnte? Und warum berichten wir viel öfter über ekelhafte AfD-Hetzer als über engagierte Flüchtlingshelfer?

Also: Mehr Motivation, weniger Jammertal ohne Ausweg. Und ja, auch zwischendurch Lachen hilft. Und sei es, um wieder Kraft zu schöpfen für den Umgang mit den nächsten Schreckensnachrichten. Denn keine Sorge: Davon wird es immer genug geben.