Menschenschmuggler in Libyen: Am Todesstrand von Zuwara

In einem libyschen Küstenort hat eine Bürgerwehr Menschenschmuggler verjagt. Der Lohn: Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.

drei Männer nähern sich einer Leiche, die unter Seetang am Meeresrand verborgen ist

Alltägliches Grauen: Hilfskräfte bergen eine Leiche, die vom letzten Schiffsunglück an den Strand von Zuwara gespült wurde. 4. Juni 2016 Foto: reuters

Bassem Dhan steht am Mittelmeerstrand und schaut finster nach Norden. Eigentlich könnte der Abgeordnete des Gemeinderats von Zuwara zufrieden sein. Seit über einem halben Jahr hat vom Strand der kleinen Berberstadt im Westen Libyens kein Flüchtlingsboot mehr abgelegt.

Doch am Wochenende wurden über 130 Leichen von Ertrunkenen angeschwemmt – wie schon im letzten Sommer. „Ein grauenhaftes Bild, das mich nicht mehr loslässt“, erinnert sich Dhan. „Seit wir Fotos von den ertrunkenen Migranten in der Stadt zeigen, lehnen die Bürger das Tun der Menschenhändler ab.“

Und schritten zur Tat. Eine maskierte Bürgerwehr aus Aktivisten hat die größten Schmugglerbosse von Zuwara öffentlich angeprangert und hinter Gitter gebracht. Nun haben sich die Abfahrplätze nach Europa einfach nach Westen verschoben: nach Sabrata, 60 Kilometer entfernt.

In der für ihr römisches Amphitheater berühmten Küstenstadt bündelt sich der libysche Konflikt wie im Brennglas. Rund ein Dutzend rivalisierende Gruppen beäugen sich misstrauisch, an Kontrollpunkten stecken finster dreinschauende Milizionäre ihre Reviere ab – auch am Strand. Und die Schmuggler gehen bei allen Gruppen ein und aus.

Menschenhändler im Knast

Bis zum Februar füllten ihre Schutzgeldzahlungen die Kassen des „Islamischen Staats“ (IS), der in Sabrata präsent war. Doch nach US-Luftangriffen verjagten lokale Milizen die Dschihadisten. Sabrata ist nun offiziell wieder IS-frei. „Der IS – das waren alles Tunesier“, ist die Sprachregelung in den ­Cafés. Jetzt ist man wieder unter sich und verdient an den Flüchtlingen viel Geld.

Zuwara aber hat sich seiner Flüchtlingsschmuggler entledigt, so wie es sich die EU wünscht. Rund 20 „große Fische“, wie die Bürgerwehr von Zuwara sagt, sitzen in einem Gefängnis nahe der Polizeiwache in der Innenstadt und in einem Camp westlich der Stadt. Manche waren in dem 40.000 Einwohner zählenden Ort schon zu Gaddafi-Zeiten aktiv.

Gemeinderat Bassem Dhan in Zuwara ist aber nun schwer enttäuscht: Statt internationale Hilfe bekam er eine Anzeige des Staatsanwalts aus Libyens Hauptstadt Tripolis. Mit der Inhaftierung der Schmugglerbosse habe Zuwaras Bürgerwehr, eine vom libyschen Innenministerium anerkannte Ordnungskraft, ihre Kompetenzen überschritten.

„Die Mafia hat gute Kontakte“, sagt Dhan dazu. „Das ist ein Netzwerk bis in hohe Regierungsstellen in Tripolis, Tunesien und Malta.“

Politik der kleinen Schritte

Mohamed Senussi*, zu Besuch in Zuwara, studiert das ­Schreiben sorgfältig. Er kommt aus der Schmugglerhochburg Sabrata. Dort warten derzeit schätzungsweise 6.000 Menschen auf die Abfahrt, berichtet er: Nigerianer vor allem, auch Migranten aus Ghana, der Elfenbeinküste und Kongo. Sie bauen ihre Schiffe selbst.

Senussi hört sich aufmerksam an, wie Zuwaras Aktivisten ihre Kampagne gegen den Menschenhandel aufzogen. Gemeinderat Dhan berichtet über Identitätskarten für Migranten, mit denen sie eine Gesundheitsprüfung und offizielle Arbeitsmöglichkeiten erhalten. „Mit kleinen Schritten versuchen wir, den Einheimischen die Angst zu nehmen und den Migranten einen Status zu geben.“

Die Schmugglermafia

In Sabrata, sagt Senussi, wäre das nicht möglich. Wer sich dort den Schmugglern in den Weg stellt, erklärt der junge Mann, riskiert sein Leben. „Seit die Banktresore leer sind und die Ölförderung stillsteht, geht es in Libyen hauptsächlich um den Zugang zu Geld – und an Migranten kann man schnell und unkompliziert verdienen.“

Europa, darüber sind sich die beiden jungen Aktivisten einig, muss den libyschen Gemeinden beim Aufbau von gut bezahlten Sicherheitsstrukturen helfen – und zwar im Süden des Landes, in der Wüste. An der Küste sei es schon zu spät. Da könne man niemanden mehr aufhalten.

Außer man gebe den Schmugglern eine alternative Einkommensquelle. In Zuwara, sagt Bassam Dhan, haben einige einen neuen Geschäftszweig entdeckt: Benzinexport über das Mittelmeer nach Malta. Bei einem Einkaufspreis von 8 Cent ist dabei viel mehr Geld zu machen als mit Menschen. Zumal die Nato-Flotte die Benzinschmuggler passieren lässt.

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