Migration in Schulbüchern: „Formuliere Zukunft für Ausländer“

Wissenschaftler haben untersucht, wie Migration in Schulbüchern dargestellt wird. Das Ergebnis: allzu oft aus der Sicht der Dominanz-Gesellschaft.

Schulbücher sollen gesellschaftliche Konflikte abbilden Bild: dpa

BERLIN taz | Die Gläser voll Apfelsaft und der Kaffee aus dem gewaltigen Thermosbehälter sind für die Besucher der Pressekonferenz eigentlich nicht vorgesehen, doch „die Staatsministerin hat gesagt, wir dürfen“, heißt es. Die Beschwerde kommt prompt, und dann verzieht man sich schnell in Raum 4, bevor noch mehr Schulbuch-Zuständige unangenehm auffallen. Besagte Staatsministerin ist Aydan Özoguz, und die scheint überrascht, dass so viele Journalisten die Sonne verlassen haben und in den fensterlosen Raum im Bundespresseamt gekommen sind.

Özoguz, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, hat 65 Schulbücher aus Bayern, NRW, Sachsen, Berlin und Brandenburg der Klassen 9 und 10 untersuchen lassen. Das Georg-Eckert-Institut sollte in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Bildungsintegration an der Stiftung Universität Hildesheim beleuchten, ob und wie Schulbücher die Themen Integration und Migration behandeln.

Projektleiterin Inga Niehaus, eine blonde Frau mit kurzem Pony, wirft die Ergebnisse der Studie an die Wand – und den Verlagsrepräsentanten ins Gesicht. „Zwar wird in nahezu allen Büchern Deutschland explizit als Einwanderungsland beschrieben“, sagt sie, „doch vornehmlich wird Migration problematisiert.“ Diversität werde als Ausnahme thematisiert, in Erdkundebüchern nicht zuletzt als konfliktträchtig und krisenhaft.

Migranten – synonym Ausländer oder Fremde genannt – würden häufig als passiv Betroffene anstatt aktiv Handelnde etikettiert, der Leser bliebe in der Perspektive der Dominanzgesellschaft. „Formuliere mögliche Zukunftswege für ausländische Kinder“, lautet etwa eine Aufgabe in einem Sozialkundebuch. In Dauerschleife erzählen die Verlagsmenschen, wie viel sich schon getan habe, dass Schulbücher in Schulen eine längere „Verharrzeit“ als in den Verlagen hätten („Da sind wir nicht in der Pflicht“),die verschiedenen Realitäten etwa in Marzahn-Hellersdorf und Neukölln berücksichtig werden müssten und Schulbücher Zeit zum Entstehen bräuchten.

Prompt hält Anja Hagen von Cornelsen ein neues Buch für Grundschüler in die Höhe: Ein kleines nicht weißes Mädchen strahlt den Journalisten entgegen. „Wir erzählen die Geschichte von Imira, deren Familie arabischer Herkunft ist.“ Da will natürlich auch der Verlagsleiter von Ernst Klett nicht untergehen: In einem seiner Bücher komme nicht der Autobus sondern -büs herangerauscht – wegen der vielen Ü im Türkischen.

Rosa Hoppe, die an der Studie mitgearbeitet hat, kann viele Argumente nur belächeln und wiederholt geduldig die Defizite: „Kontexte von Kolonialisierung und Migration werden kaum thematisiert, also warum es so ist, wie es ist, strukturelle Vor- und Nachteile gar nicht.“ Sogar das „N-Wort“ werde noch immer in Karikaturen unreflektiert genutzt. N wie Neger. Und Nachholbedarf.

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